Sein Krähen kündigt den Sonnenaufgang an. Schon im alten Persien hatte der Hahn eine religiöse Bedeutung als Künder des Lichts. Auch auf Kirchen hat er es geschafft. Unter anderem, weil er den Verrat des Petrus kundtat. Gegen den Osterhasen hat er keine Chance. Doch als Künder des Lichtes und als Symbol der Auferstehung ist auch der Hahn ein populäres Ostersymbol. An vielen Kirchen hat es der vorlaute Gockel bis auf die Spitze geschafft – und dabei gegenüber seinem vierbeinigen Konkurrenten den Vorteil, dass die Menschen zu ihm aufschauen.
Wenn es noch exklusiver sein soll, werden Hähne und Co auch dreidimensional aus Kupfer von Hand gefertigt. Alle Wetterfahnen können auf Wunsch auch vergoldet werden. Meist sind es Privatleute, die kleinere Wetterhähne als Zierde oder aus meteorologischem Interesse auf Carport, Gartenhaus oder auf dem Hausdach anbringen.
Symbole auf Kirchturmspitzen gibt es ganz unterschiedliche: Kreuze, Sterne, Erdkugeln, steinerne Rosetten, Posaunen-Engel oder eben Hähne. Immer wieder heißt es, dass katholische Kirchen an einem Hahn und evangelische an einem Kreuz erkennbar seien – oder umgekehrt. Doch das stimmt nicht. Nur bei Schwänen ist die Zuordnung klar: Sie gelten als Symbol für Martin Luther.
Das Bildmotiv des Schwans führt den Betrachter zurück in die Reformationszeit und darüber hinaus in das Zeitalter der spätmittelalterlichen Kirchenreform. Der Reformator Martin Luther selbst hatte die Anregung dazu gegeben, ihn im Medium Bild mit einem Schwan darzustellen. Denn Luther bezeichnete sich als Schwan, indem er Bezug nahm auf eine Prophezeiung, die der böhmische Reformator Jan Hus (ca. 1370–1415) zu Beginn seiner Gefangenschaft in Konstanz (Ende 1414) getätigt haben soll. 1531 schrieb Luther: „Sankt Johannes Hus hat von mir geweissagt, da er aus dem Gefängnis in Böhmerland schrieb: ‚Sie werden jetzt eine Gans braten (denn „Hus“ heißt auf Böhmisch „Gans“). Aber nach hundert Jahren werden sie einen Schwan singen hören. Den sollen sie leiden. Da soll’s auch bei bleiben, ob Gott will“.
Doch warum kommt ausgerechnet der Hahn auf die Kirchturmspitze? Schon in der altpersischen Religionsgemeinschaft der Parsen galt das Tier als Künder der göttlichen Morgenröte. Auch die griechische Mythologie kennt ihn als Boten des anbrechenden Morgens. Das früheste Zeugnis für einen Hahn als Wetterfahne auf einem Sakralbau findet sich auf einem römischen Mausoleum aus dem 2. Jahrhundert nach Christus. Der erste Hinweis auf einen Hahn auf einer christlichen Kirche stammt aus dem 9. Jahrhundert. Im Jahr 820 soll der Bischof von Brescia ihn auf seinem Kirchturm angebracht haben.
Für die Christen war es leicht, die Symbolik des Tieres in ihre Religion zu übertragen: Der Hahn ist der erste, der das Ende der Nacht ankündigt – so wie Jesus Christus die Dunkelheit des Todes besiegt hat. Der Hahn weckt die Menschen aus dem Schlaf, Christus erweckt zum ewigen Leben.
Mehrfach findet sich ein Hahn auch in den Evangelien. Kurz vor seinem Tod prophezeit Jesus dem Petrus, dass er ihn drei Mal verleugnen wird – und zwar noch ehe der Hahn kräht. Und so ist es: Aus purer Angst dreht sich Petrus nach dem Wind – wie der Hahn auf dem Kirchturm, der damit als Mahner zu Reue, Glaubensstärke und Mut gedeutet werden kann. Auch als Symbol der Wachsamkeit taugt das Tier, das bezeichnenderweise als gallischer Hahn seit der Französischen Revolution immer wieder auch das Symbol des französischen Staates war: "Seid also wachsam", heißt es im Markus-Evangelium. "Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob am Abend oder um Mitternacht, ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen."
Und wie kommt der Hahn in die luftige Höhe? Oft war das eine halsbrecherische Aufgabe für wagemutige Dachdecker. Erst nach einem Gebet begann der Aufstieg über die im Kirchturmdach verankerten Steighaken zur Spitze. Heute findet der Wachwechsel in der Regel nur dann statt, wenn der gesamte Kirchturm eingerüstet ist. Oder Firmen, die auf Industriekletterei spezialisiert sind, übernehmen die Aufgabe. Andere Traditionen haben sich gehalten: So ist es in vielen Gemeinden üblich, dass der neue Kirchturmgockel einige Zeit in der Kirche ausgestellt, geweiht und anschließend von den Handwerkern von Haus zu Haus getragen und vorgestellt wird.
Frei von Furcht vor Schwindel und Höhe sollte sein, wer für die Firma „Seilkonzept“ aus Kassel arbeitet. Die Höhenkletterer haben sich darauf spezialisiert, Wartungs- und Reparaturarbeiten an nahezu allen Gebäuden gleich welcher Größe durchzuführen. Ihr Ziel erreichen sie dabei nicht bequem über ein Gerüst oder einen Kran, sondern akrobatisch und nahezu frei hängend mittels ausgeklügelter Seilzugtechnik. Eine Mission führte ein dreiköpfiges Team dieser Spezialfirma auch zur Dorfkirche nach Stiepel. Ihr Auftrag: die Kirchturmspitze, die aus einem Hahn und einem Kreuz besteht, wieder in aufrechte Position zu bringen. Denn seit einem schweren Sturm hing die Spitze sichtbar auf Halbmast. Mehrere Möglichkeiten wurden durchgespielt: So hätte man das komplette Kirchengebäude einrüsten können. Oder man hätte mit einem riesigen Kran vom Parkplatz aus die Spitze erreichen können. Alles sehr aufwändig und teuer. Gemeinsam mit der Versicherung entschied sich die Kirchengemeinde dazu, die Höhenkletterer von „Seilkonzept“ mit den Arbeiten zu betrauen. Kosten für die Montage und die Reparatur des Kreuzes: etwa 20.000 Euro.
Einige Stunden lang ist das Team in etwa 40 Metern Höhe an Seilen befestigt damit beschäftigt, das Kreuz auf dem Turm aus der Verankerung zu lösen und nach unten zu befördern. Weil dabei immer wieder kleinere Platten vom Dach fallen, ist das Gelände weiträumig abgesperrt. Nach einem Tag sind Kreuz und Hahn unten angekommen.
Der Volksmund nennt ihn den „Geusen-Daniel“. Noch heute findet man diesen speziellen Engel auf einigen Kirchtürmen der Reformierten Kirchengemeinden. So auch in Essen-Kettwig, wo über dem Dach der Marktkirche ein Engel schwebt, der eine Posaune bläst.
Die katholische Bevölkerungsmehrheit bezeichnete die Reformierten als „Geusen“ und ihre Predigthäuser als „Geusen-Klomp“. Sie übertrug die Selbstbezeichnung der Flüchtlinge aus dem Niederländischen Befreiungskrieg auf die reformierten Einheimischen und ihre Versammlungsräume. Geusen (niederländisch geuzen) ist der Name, den sich die niederländischen Aufständischen am Anfang des Achtzigjährigen Krieges (1568–1648) gaben. Die oft versteckten kleinen Kirchen der Gemeinden dienten auch den aus den Niederlanden geflohenen Geusen, die sich den im verborgenen wirkenden Protestanten anschlossen, als Gotteshäuser.
Der Posaunenengel lässt daher viel Spielraum für Interpretation: Er posaunt zum Beispiel einen gelungenen Neuanfang nach der Flucht. Endlich durften die Reformierten eine eigene Kirchengemeinde gründen. Flüchtlinge dürfen sich darüber freuen, dass sie angekommen sind.
Aber wieso erhielt der Blech-Engel auf den „Geusen-Klomp“ den Namen „Daniel“?
Wahrscheinlich hat der Volksmund den Namen „Geusen-Daniel“ nicht aufgrund einer korrekten biblischen Begründung geprägt. Sondern er hat assoziativ verschiedene Elemente biblischer Endzeitszenarien ineinanderfließen lassen: den Propheten Daniel, den Erzengel Michael und die sieben Engel mit den Posaunen.
Übrigens: Nicht alle reformierten Kirchen erhielten einen Posaunenengel als Kirchturmschmuck. Und nicht alle Posaunenengel finden sich auf reformierten Kirchtürmen. Es handelt sich also keineswegs um ein typisches Kennzeichen reformierter Kirchbauten. Eher darf man es als eine Art regionale Mode betrachten, die ab dem Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte.
Weil ein Turm- oder Dachknauf das Bauwerk schmücken soll und weil er, einmal angebracht, schlecht zugänglich ist, legt man auf Ansehnlichkeit und Haltbarkeit Wert und fertigt ihn deshalb gerne aus Kupferblech oder noch edleren Materialien. Wegen der Unzugänglichkeit dienen solche Knäufe auch als sogenannte Zeitkapsel. Manche tragen eine drehbare Wetterfahne oder einen Wetterhahn als Verzierung, Turmkugeln und Dachknäufe von Kirchen dagegen in der Regel ein Kreuz. Wegen ihrer relativen Unzugänglichkeit galten Turmknäufe oft als sichere Aufbewahrungsorte für historische Zeugnisse aus der Zeit des Baus, etwa Zeitungen oder Münzen der Zeit, die man an die Nachwelt überliefern wollte. Für darin gelagerte Schriftstücke kamen die Namen „Kirchturmknopfakte“ oder „Turmakten“ auf. Zu den darin regelmäßig angetroffenen Textsorten gehören auch Aufzeichnungen der jeweiligen Kirchgemeinde, Auszüge aus Geburts- und Totenregistern und Berichte über besondere Ereignisse zur Bauzeit. Die in einem Turmknopf aufbewahrten Unterlagen können auch noch heute zur Korrektur und Ergänzung historischen Wissens beitragen. Es ist üblich, die Funde bei Renovationen zwar anzuschauen, aber nur in Ausnahmefällen – etwa aus Konservierungsbedarf – zu entfernen. Denn es handelt sich ganz bewusst um Botschaften für die Nachwelt ohne zeitliche Beschränkung.
Nicht am höchsten Punkt der Kirche, aber dennoch auf einer Turmspitze: Auf dem Türmchen an der nordöstlichen Ecke des Brunnenhofs, das zur Marienbasilika in Kevelaer gehört, befindet sich ein Engel mit Trompete und Fahne.
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