Ohne Übertreibung wird das Doberaner Münster die "Perle der norddeutschen Backsteingotik" genannt, und Jahr für Jahr zieht es hunderttausende Besucher in seinen Bann, bei feierlichen Gottesdiensten und unvergesslichen kirchlichen Trauungen, bei eindrucksvollen geistlichen Konzerten und sachkundigen Führungen, bei stillen Andachten und interessanten Besichtigungen. Wer das Doberaner Münster betritt, ist beeindruckt von der schlichten und doch erhabenen Zisterzienser-Baukunst, von der optischen Wirkung des Lichteinfalls durch die Obergadenfenster oder vom goldenen Licht der Abendsonne, das durch das riesige Westfenster einfällt. Das Münster, die ehemalige Klosterkirche, gehört zu den bedeutendsten Baudenkmalen in Norddeutschland. Mit seinem Bau wurde 1294 begonnen, nachdem die 1232 geweihte Kirche ausgebrannt war. Unter Nutzung von Teilen des Fundaments und des Mauerwerks der Kirche - die Südwestecke der romanischen Kirche ist noch als Bestandteil des Westgiebels des Münsters erkennbar - wurde ein Kleinod norddeutscher Backsteinbaukunst in hochgotischem Stil geschaffen und 1368 eingeweiht.
Blick auf den Hochaltar
Der Hochaltar (um 1300) ist der älteste Flügelaltar der Kunstgeschichte. Er hat eine typengeschichtliche Herkunft aus der steinernen Retabelwand einerseits und den Reliquienschreinen andererseits. Er ist ohne Fialentürme vier Meter hoch und wurde Ende des 19. Jahrhunderts restauriert. Im Mittelteil werden hochgotische Architekturformen in einer siebenachsigen Arkadenreihe mit Wimpergen verkleinert, die einst Reliquiare enthielten. Über dem Mittelteil erheben sich drei zierlich durchbrochene Fialentürme, von denen der mittlere sechs Meter hoch ist. Auf den Flügeln wurden in den beiden oberen Figurenreihen Szenen aus dem Alten und Neuen Testament in typologischer Entsprechung wiedergegeben. Diese Figuren ähneln in der grazilen Körperhaltung und der Gewandung französischen Kathedralskulpturen, ihre Herkunft ist umstritten (lübisch oder westfälisch-magdeburgisch). Die unterste Figurenreihe ist jüngeren Datums (vor 1368) und unterscheidet sich stilistisch wie inhaltlich (es werden die 12 Apostel, die beiden Schutzheiligen gegen die Pest (Papst Fabian und St. Sebastian) und die Marienkrönung dargestellt) vom übrigen Figurenschmuck.
Christusseite des Kreuzaltars
Der doppelseitige Kreuzaltar befindet sich heute wieder an seinem ursprünglichen Platz zwischen dem ehemaligen Mönchschor und dem Chor der Laienmönche (Konversen), nachdem er einige Jahrhunderte an der Westwand der Kirche aufgestellt war. Der Kreuzaltar und die ehemals übermannshohe Lettnerwand trennten den Mönchschor im Osten vom Laienchor im Westen. Er vereinigt einen zweiseitigen Flügelaltar mit einem ebenfalls doppelseitigen, 15 Meter hohen monumentalen Triumphkreuz und stammt aus der Zeit um 1360/70. Zur Schlussweihe der Kirche im Jahre 1368 war er wohl weitestgehend fertiggestellt. Es handelt sich um das monumentalste Werk seiner Art und Zeit europaweit. Der wichtigste Unterschied zu den früheren Arbeiten ist der Grad der tatsächlich umgesetzten Naturbeobachtung. Der Altar stellt diesbezüglich die Wendemarke in der norddeutschen Kunst dar. Das Gesamtwerk ist beidseitig mit mehr als 30 Szenen aus der Bibel gestaltet und umfasst auf der Christusseite nach Westen Predella, Retabel und Triumphkreuz und auf der Marienseite nach Osten Reliquienschrein, Retabel und den "Guten Baum der Maria" in Kreuzesform. Das Kreuz wurde als Lebensbaum gestaltet – gemäß der Worte Christi: "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben" (Joh 15,5). Die Darstellung Christi im lebensspendenden und über Satan triumphierenden Baum ist eines der wichtigsten Symbole mittelalterlicher Gläubigkeit. Das todbringende Kreuz ist nicht mehr Marterwerkzeug, sondern durch die Auferstehung Jesu Christi Symbol des ewigen Lebens.
Von links nach rechts sind, wie beim Hochaltar, alttestamentliche Szenen neutestamentlichen gegenübergestellt – ein sogenanntes typologisches Programm, da nach mittelalterlicher Denkweise das Alte Testament schon Hinweise auf das Erlösungswerk des Neuen Testaments enthielt (Typologie). So wurde zum Beispiel der betende Prophet Elija der Darstellung Christi am Ölberg zugeordnet. In der Szene des Sündenfalls auf der Westseite des Retabels wird die paradiesische Nacktheit durch zwei sehr fein geschnitzte Maßwerktürchen aus der Entstehungszeit des Altars verdeckt, die vermutlich in einer liturgischen Feier am Karsamstag geöffnet wurden, um der Befreiung Adams und Evas aus der Vorhölle zu gedenken. Passionsszenen wie die Kreuztragung und Dornenkrönung werden der Verspottung Ijobs gegenübergestellt. Gleiches gilt für die Marienseite des Altars, wie auch für das Monumentalkreuz (Meister der lübeckischen Triumphkruzifixe). Dieses einmalige Kunstwerk (Laienaltar und Triumphkreuz[7] als Einheit) ist aufs Engste mit der Kunst des seit 1367 in Hamburg nachweisbaren Meister Bertram von Minden (etwa 1335–1415) verbunden.
Der lateinische Spruch zwischen Kreuz und Altar "Effigiem Christi qui transis pronus adora sed non effigiem sed quem designat adora" bedeutet sinngemäß: "Das Bildnis Christi – der du vorübergehst – bete ehrfürchtig an (oder verneige dich ehrfürchtig) – aber nicht das Bildnis – sondern den, den es darstellt – bete an". Die Weinblätter um das Kreuz herum wurden 1982 nach mittelalterlicher Rezeptur in Lüsterfarbe restauriert. Die aus Eichenholz geschnitzten Blätter sind mit einem Kreidegrund versehen, überzogen mit einem dünnen Metallbelag und beschichtet mit in Ölfarbe gelöstem Grünspan. Die Lüsterfarbe war ein kostbarer Ersatz der Emaille der Goldschmiedekunst und war in der Herstellung aufwendiger und kostenintensiver als die Vergoldung einer vergleichbaren Fläche. Allerdings setzte bei der rekonstruierten Lüsterfarbe der Nachdunkelungseffekt durch Oxidation bisher nicht im gewünschten Maße ein. Der farbliche Kontrast ist für den Betrachter recht groß. Anfang 2007 wurde eine leichte Veränderung der Lüsterung im Zusammenhang mit einer geplanten Konservierung in Betracht gezogen. Auf vier der Blätter wurde eine Lasur zur Milderung des Kontrastes aufgetragen. Das Ergebnis war jedoch unbefriedigend. Es wurde durch das Landesamt für Denkmalpflege für die Beibehaltung der 1982 entstandenen Farbfassung plädiert, weil diese zweifelsohne dem mittelalterlichen Zustand recht nahe ist. Der oft als unbefriedigend angesehene Kontrast entsteht auch durch die im 19. Jahrhundert aufgetragene "stumpfe" Vergoldung auf den Altarbildern und den Reliefs an den Kreuzarmen. Die darunter liegenden Reste der mittelalterlichen Vergoldung sind leuchtend golden.
Die Legende von Doberan
Um die Gründung des Klosters in Bad Doberan rankt sich eine alte Legende: Demnach hatte Fürst Heinrich Borwin I. von Mecklenburg versprochen, das 1179 zerstörte erste Kloster Mecklenburgs neu zu errichten - und zwar genau dort, wo er den ersten Hirsch erlegen werde. Ausgerechnet in einem sumpfigen Gelände gelang dem Fürsten der erfolgreiche Abschuss - und während die Jagdgesellschaft noch darüber diskutierte, ob dieser Platz geeignet sei, um ein Kloster zu bauen, flog ein Schwan über die Gruppe hinweg und rief etwas, das wie "dobr, dobr" klang.
Die Entscheidung für den Standort und seinen Namen war damit gefallen, denn "dobr" bedeutet im Slawischen "gut". So erhielt der Ort der Legende zufolge den Namen Doberan, was so viel heißt wie "guter Platz". Schwan und Hirsch prangen seither auf dem Wappen der Stadt. Tatsächlich aber ist der Name Doberan noch älter: Bereits das erste, 1171 gegründete und 1179 zerstörte Kloster trug den Namen "Claustrum Doberan". Es befand sich im etwa drei Kilometer entfernten Althof, heute ein Ortsteil von Bad Doberan.
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