Der Wittener Bahnhof und Lok Friedrich

Die alte rostige Lok hing in der Luft, als wäre sie ein Spielzeug. Ein Kran hob sie scheinbar mit Leichtigkeit vom Lkw auf das Gelände der KarriereWerkstatt der Deutschen Edelstahlwerke. Dabei wog „Friedrich“, wie die Wittener Eisenbahnfreunde die Lokomotive getauft hatten, mit stolzen 16 Tonnen bedeutend mehr als eine Modelleisenbahn, die wohl auch in einem besseren Zustand gewesen wäre. 63 Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen, die die Dampflok schon auf dem Buckel hat. Bis 1972 wurde sie auf der Klöckner-Hütte in Hagen-Haspe eingesetzt. Dann diente sie Kindern auf einem Spielplatz in Gevelsberg als Abenteuerobjekt. Beulen, Moos, Ritzereien und abblätternde Farbschichten zeugten von dieser Vergangenheit. Schon bald aber sollte Friedrich den Lebensabend im ebenfalls restaurierten Wittener Hauptbahnhof verbringen.

Investor Markus Bürger, der die Bahnhofshalle gekauft hatte, wünschte sich für den Umbau eine Lokomotive als Herzstück der Eingangshalle.  Die generalüberholte Dampflok solle Besucher an die Bergbaugeschichte und Montanindustrie Wittens erinnern.

 
 
Heinz-Jürgen Dietrich, langjähriger Erster Stellvertretender Bürgermeister von Witten und selbst ehemaliges Belegschaftsmitglied der Deutschen Edelstahlwerke, ließ es sich nicht nehmen, Friedrich persönlich zu begrüßen.

Doch bevor Friedrich in den Bahnhof ziehen durfte, musste er restauriert werden. Denn die Lok, die die Wittener Eisenbahnfreunde auf Bürgers Geheiß für 6.000 Euro von einem befreundeten Verein aus Plettenberg erstanden hatten, sah verwahrlost aus. Die Karrierewerkstatt der Deutschen Edelstahlwerke hatte bei der Restaurierung tatkräftige Hilfe angeboten. Auszubildende Industriemechaniker haben abwechselnd an der Lok geschraubt. „Für unsere Lehrlinge ist es eine tolle Möglichkeit, die Praxis zu üben“, erklärte Ausbildungsleiter Jörg Hirsch 2012. Eine Woche später sollte die Restaurierung losgehen, geplant hierfür waren sechs Monaten bis zur Fertigstellung der Schmalspurlok. Zunächst wurde eine Skizze der Lok angefertigt. Dann sollten Teile (!!!) von ihr ausgetauscht, gestrichen und lackiert werden. Bis dahin kannte man die Lok nur von Bildern – und Bilder können bekanntlich täuschen. Am 23.02.2012 um halb zwölf war es dann endlich soweit. Auf dem Gelände der Karrierewerkstatt an der Herbeder Straße herrschte Aufregung. Kranführer Andreas Range brauchte viel Fingerspitzengefühl, um die Lok aus dem Transport-Lkw und über einen Zaun auf den Geländeparkplatz zu heben. Als Friedrich endlich auf festem Boden beziehungsweise zwei Holzpflöcken stand und zum Glück nicht schon jetzt in seine maroden Einzelteile zerfallen war, umringten Eisenbahnfreunde und Azubis den Zug-Oldie. Am Ende sollte Friedrich wieder dampfen und seine Räder drehen können, auch wenn sein Lebensabend als Ausstellungsstück endet. So der Plan. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg. Zunächst wurde Friedrich in seine Einzelteile zerlegt und noch Brauchbares von Unbrauchbarem separiert.

Bei der Ankunft in Witten war bereits klar geworden, dass die Lok zur optischen Aufarbeitung komplett in ihre Einzelteile zerlegt werden musste. Optisch sichtbar war, dass die Rauchkammertür, der Rauchkammerring, die Kohlen- und Wasserkästen  vom Rost zerfressen und nicht mehr gerettet werden konnten. Wie sollte es auch nach den vielen Jahren auf dem Spielplatz und im Sauerländer Regen anders sein. So begann in enger Abstimmung mit der KarriereWerkstatt die Demontage der Lok. Rauchkammer- und Feuertür wurden bei der Fachwerkstatt Mende in Gera in Auftrag gegeben. Leider ließ sich im heimischen Umkreis keine Firma für diesen Auftrag finden.

In alle Einzelteile wurde die Lok zerlegt - und ähnelte einem riesigen, rostigen 3-D-Puzzle.
 
 
Fahrwerk
 
 
 
 

Ganz anders sah es da bei den Wasserkästen aus. Sie wurden durch die Firma KHS in Dortmund nach den Henschel-Zeichnungen aus dem Jahr 1949 originalgetreu nachgebaut. Ebenfalls nur noch Schrott waren die Federpakete der Lok. Ob die lange Standzeit oder ein Betriebsschaden auf der Hütte in Haspe noch dazu führten, wird wohl ungeklärt bleiben. Dank Sponsoring der Firma Federn Rüther wurden diese ebenfalls nach den Henschel Zeichnungen nachgebaut. Nach dem Bau der Wasserkästen wurden diese anlässlich der 150-Jahr Feier im AW Witten erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.  Seit November 2016 wurde das Fahrwerk einer sehr aufwendigen Instandsetzung unterzogen, viele Bleche waren leider auch hier nur noch hauchdünn und mussten ausgetauscht werden. Die passend geschnitten Bleche wurden dann mit den alten Rahmenteilen verschweißt. Anschließend wurden Triebwerk und die Steuerung „aufgemöbelt“. Friedrichs Unterbau war damit quasi fertig. Innerhalb der nächsten zwei Monate sollte es dann zu „Hochzeit“ von Fahrwerk und Lokkessel kommen. Noch fehlten viele Dinge, etwa der Neubau des Führerhauses.

Am Freitag, dem 13. Oktober 2017, wurde Friedrich in der Eingangshalle des Wittener Hauptbahnhofs  positioniert und wird ab sofort dort die Reisenden begrüßen. Mehr als fünf Jahre hatten die Wittener Eisenbahnfreunde diesem Tag seit der Anlieferung in Witten entgegengefiebert. Wieder war es ein recht aufwendiger Akt, denn eine Lok schiebt man nicht mal eben in eine Halle hinein. Zunächst wurde sie von zwei Autokränen auf den Bahnhofsvorplatz gehievt und von da aus langsam in die Eingangshalle gezogen. Dafür wurde vorübergehend sogar der Mittelpfeiler des Hauptportals entfernt. Während des Vorgangs war der Bereich der Bergstraße gesperrt, ebenso der Parkplatz vor der angrenzenden Verbraucherzentrale.

 

WEITERE Bilder folgen nach der Enthüllung der Lok im Wittener Bahnhof.

 

 

 

 

Anekdoten zu dem 1901 erbauten Gebäude gibt es zur Genüge: Über seinen rein technischen Zweck hinaus sollte dieser vor allem repräsentieren. „Heutzutage habe Bahnhofsviertel einen schummerigen Ruf. Zur Jahrhundertwende zog in Bahnhofsnähe jeder, der Rang und Namen hatte.“ Und: Früher verbrachte man viel mehr Zeit in Bahnhöfen – weil man mehr warten und häufiger umsteigen musste, Züge seltener fuhren. Wittens Bahnhof hatte darum vier Wartesäle: für die 1. und die 2. Klasse, für allein reisende Damen und – der kleinste übrigens – für Nichtraucher. 

 

In den oberen Etagen waren Wohnungen untergebracht. Wo einst der Bahnhofsvorsteher und seine Familie wohnte oder Fachleute, die für die Wartung von Weichen oder Lokomotiven zuständig waren, befinden sich heute Büros. 

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