Mitten auf der Insel im Dorf Nebel liegt nahe am Watt die alte St.-Clemens-Kirche. Seit ca. 800 Jahren wird in ihr gebetet, Gottesdienst gefeiert, getauft, getraut, konfirmiert und Abschied genommen.
Die Kirche, die das Patrozinium des Heiligen Clemens von Rom als Schutzpatron der Seeleute trägt, wurde vermutlich 1236 erbaut und 1240 erstmals urkundlich erwähnt. Die Bewohner der damals einzigen Inseldörfer Norddorf und Süddorf konnten sich nicht einigen, in welchem Dorf die Kirche erbaut werden sollte, so dass sie zwischen den beiden Dörfern erbaut wurde.
Die Kirche wurde anfangs als einfacher Holzbau errichtet und war vermutlich eine Filialkirche der Gemeinde St. Johannis in Nieblum auf Föhr. Die Kirche lag auf einer flachen Halbinsel, auf der der Föhrer Geistliche anlanden konnte. Später wurde die Kirche als einschiffiger, turmloser Bau im Stil der Romanik aus Backsteinen und Feldsteinen errichtet. Das Dach wurde mit Reet gedeckt. Später wurde die Kirche verputzt und weiß getüncht. Im Jahr 1908 wurde der 36 Meter hohe, kupfergedeckte Kirchturm mit einer größeren Glocke hinzugefügt. Das Holzgestell wurde abgebaut. In den Jahren 1936 und 1957–1960 wurde das Innere der Kirche renoviert. Dabei wurde 1957 ein niedriger Chorbogen eingebaut. Zu den zwei gestifteten Kronleuchtern aus Messing kamen 1960 ein weiterer Kronleuchter und zwei Wandleuchter aus einem holsteinischen Gutshaus, ebenfalls aus Messing. 1981 wurde eine zweimanualige Orgel eingeweiht. 1984 wurde der Turm von außen vollständig renoviert.
Um die Kirche herum entwickelte sich das Dorf Nebel zum größten Dorf der Insel. 1524 kam die Reformation nach Amrum, so dass die Kirchengemeinde evangelisch wurde. Von 1574 bis 1630 war Tycho Frudson (gelegentlich auch Frödden genannt) Pastor. Etwa zu seinem 50-jährigen Dienstjubiläum entstanden 1623 die aus Tannenholz gefertigte Kanzel und der Schalldeckel. 1634 wurde der Flügelaltar aus Dankbarkeit dafür errichtet, dass die Amrumer die Zweite Grote Mandränke überstanden hatten. Zwei Kronleuchter aus Messing wurden 1671 und 1685 von Amrumern gestiftet. In dieser Zeit (1629/1630–1686) amtierte Martin Flor 56 Jahre lang als Amrumer Pastor.
Martin Flor, geboren am 24. Mai 1597, war von 1626 bis 1629 Pastor in Nordmarsch. 1629 wurde er Assistent von Tycho Frodden, der von 1574 bis 1630 Pastor der St. Clemens Church in Amrum war. Martin war sein Nachfolger im Jahr 1630. Der Beginn seiner Ernennung war die Zeit einer schrecklichen Pest auf Amrum, die die Bevölkerung von 227 auf 80 Menschen reduzierte. Martin heiratete am 25. April 1630 Poppe Volkerts aus Nordmarsch. Poppe wurde um 1605 geboren und starb um 1654. Poppes Mutter hieß wahrscheinlich Lucie. Da dies ein unbekannter Name für Friesland und insbesondere für eine kleine Stadt wie Nordmarsch war, muss Lucie die Tochter eines Fremden in der Gegend gewesen sein (jemand, der nicht einheimisch war), wahrscheinlich ein Pastor. Nach Ermittlungen wurde festgestellt, dass ihr Vater Johann Klincker aus Flensburg war, der bis 1583 Pastor in St. Johannis, Nieblum, und dann von 1583 bis 1598 in St. Laurentii, Süderende, war. Nach einem Streit mit den örtlichen Behörden zog er nach Nordmarsch, wo er ab 1600 Geistlicher war. Dies wird weiter durch die Tatsache belegt, dass Martin Flor's siebtes Kind, Johan (der fünfte Sohn), höchstwahrscheinlich von Poppes Seite benannt wurde.
Die Kinder von Martin und Poppe:
Nach dem Tod von Poppe heiratete Martin zum zweiten Mal (1655) eine Frau namens Anna aus Husum. Zu Ehren seiner ersten Frau schenkte Martin der Kirche 1655 Altarlichter. Am Ende seiner Ernennung zur St. Clemens-Kirche wurde sein Sohn Volkert sein Assistent; 1679 wurde er von Pastor Monrad abgelöst. Martin (gestorben am 13. Dezember 1686) und seine zweite Frau Anna starben ungefähr zur gleichen Zeit und wurden am 15. Dezember 1686 zusammen begraben. Martin war damals 90 Jahre alt und seit zwei Jahren bettlägerig. (Quelle: INGKE RICKMERS)
1692 wurde in einem kleinen, freistehenden Holzgestell eine Betglocke aufgehängt. Vor 1700 wurde die Westempore errichtet, später wurde auch eine Nordempore eingebaut. Von 1739 bis 1875 waren mit einer kurzen Unterbrechung nacheinander drei Mitglieder der Familie Mechlenburg Pastor, wobei jeweils ein Sohn das Amt übernahm. Der Letzte, Lorenz Friedrich Mechlenburg, verfasste ein Wörterbuch des Öömrang. 1886 wurde eine einmanualige Marcussen-Orgel im Altarraum eingeweiht. Um ihr Platz zu verschaffen, musste der Chor erhöht werden.
Das Innere der Amrumer St. Clemens-Kirche besticht durch die Bescheidenheit ihrer Ausstattung. Man wird nicht erdrückt von Prunk und Protz und verspürt die Einfachheit des früheren Insellebens - auch in Zeiten eines gewissen Wohlstandes. An eine solche Zeit erinnern zwei der drei Kronleuchter über dem Mittelgang, gestiftet von zwei erfolgreichen Grönland-Commandeuren im Jahre 1671. Der erste Kronleuchter stammt von Jacob Flor, einem Sohn des legendären Pastors Martin Flor, der über Hallig Nordmarsch-Langeneß im Jahre 1626 nach Amrum kam und hier bis zu seinem Tode 1686 in der St. Clemens Gemeinde wirkte. Zusammen mit seiner ersten Frau Poppe Volquards hatte Martin Flor neun Kinder, darunter 7 Söhne, die Stammväter zahlreicher Amrumer Familien wurden. Zwei dieser Söhne, der 1633 geborene Jacob und der 1641 geborene Johann machten sich einen Namen als Commandeure Hamburger Grönlandfahrt. 9 Wale waren kein berauschendes Fangergebnis - brachten dem Commandeur aber doch über die prozentuale Beteiligung so viel Geld ein, dass er aus Dankbarkeit 1671 der Heimatkirche in Nebel einen Kronleuchter stiftete. „DISSE KRONE HEFT DE EHRSAME JACOB FLOR THO GADES EHRE UND DISSER KERKEN THOM ZYRADT VEREHRET SINNES OLDERS 38 JAHRE, BY DER SEE GEFAHREN 22 JAHR, SCHIFFER UND COMMANDEUR GEWEST 9 JAHR. GOTT ALLEIN DIE EHRE Ao. 1671. Bei der 10. Ausfahrt nach „Grönland“ wurde Jacob Flor krank und kehrte über Helgoland in die Heimat zurück, während sein Bruder Johann das Kommando auf dem Walfänger „St. Jacob“ übernahm. Jacob starb bald darauf auf Föhr oder Amrum, nur 38 Jahre alt. Warum er nach Amrum überführt und wahrscheinlich in der Kirche neben seinem Vater Pastor Martin Flor begraben wurde, ist unbekannt. Die Grabplatte ist noch vorhanden. Sie steht an der äußeren Südmauer der Kirche.
Der zweite Kronleuchter wurde von Boh Carstensen gestiftet, ebenfalls im Jahre 1671 und wie Jacob Flor Grönland-Commandeur Hamburger Reeder. Boh Carstensen führte 1666 bis 1680 die Schiffe „St. Jan Evangelist“ und „De Abraham“ der Reeder Hermann Geertz & Baker sowie zuletzt das Schiff „St. Salvator“ des Reeders Johann Wrede. Das Jahr 1671 kam der Amrumer Commandeur mit 16 Walen heim und stiftete der Heimatkirche einen Kronleuchter. Die Inschrift lautet: DISSE KRON YS THO GADES EHR UND DISSER KERKEN THOM ZYRAD VOREHRET VAN BOYE KARSTENS THOT DANCKBARHEIT DISSES SEGENRYKEN JAHRES: SYNES OLDERS 37 IAR UND 23 IAR THO SEE GEVAREN: ITZIGER TYDT COMMENDÖR VP GRÖNLAND SYN 6 REIS DORCH GOTTES GNADE GEVAREN, GADE ALLEIN DE EHRE VAN ALLES, AO 1671.
Quelle: „Der kleine Amrumer“ 2009
Emporenbilder
In den Brüstungsfeldern der West- und Nordempore sind Christus und die zwölf Apostel dargestellt. Die Gemälde stammen aus dem 17. Jahrhundert.
Apostelgruppe
Die Kirche beherbergt eine Reihe von Kunstschätzen. Dazu gehört eine hölzerne, frühgotische Apostelgruppe "Das himmlische Abendmahl", die angeblich in einer Sturmflut auf Amrum angeschwemmt wurde und in der Südwand hängt. Die Figuren zeichnen sich durch strenge Frontalität, relativ große Köpfe und einfache Faltengebung aus. Die Gesichter spiegeln Innigkeit und tiefen Ernst wider.
Im frühen 14. Jahrhundert schnitzte ein unbekannter Künstler aus Tondern Christus' Jünger. Nach einer Sturmflut 1634 sollen die Apostel aus einer in den Fluten untergehenden Kirche in das Amrumer Gotteshaus gerettet worden sein. Im Lauf der Zeit war die Farbe von den Gewändern der Figuren abgeblättert. Der alte Inselpastor Erich Pörksen hatte nach dem Zweiten Weltkrieg die Farbe aufgefrischt. Mit dem Tuschkasten seiner Kinder und nach einem Buch mit Bildern von Rembrandt malte er die Figuren an. Damit die Farbe antik wirkte, hatte er mit einem nassen Schwamm über die Tusche gewischt. Insulaner wussten/wissen sich halt zu helfen.
Altar und Altaraufsatz, darüber die Orgel
1936 wurde der heutige Altar mit Rotsteinen im Klosterformat gebaut. Eine alte Grabplatte diente als Deckstein. Der alte Altar hatte 1886 einer Orgel weichen müssen. Der dreiteilige Altaraufsatz (Triptychon) stammt von 1634. Es handelt sich um ein Werk der Spätrenaissance. Er zeigt in der Mitte ein Abendmahlsbild und auf den Flügeln die vier Evangelisten, ausgeführt im manieristischen Malstil. Im Giebeldreieck über dem Altar werden Gottvater und die Taube als Symbol des Heiligen Geistes dargestellt. Inschriften auf der Rückseite der Flügel geben das „Vater Unser“ und die Einsetzungsworte zum Abendmahl wieder.
Die Orgel steht in Form einer Altarorgel auf einer Empore hinter dem Altar und wurde 1981 durch die Firma Becker erbaut. Das Instrument hat 18 Register (zuzüglich einer Transmission) auf zwei Manualen und Pedal und ersetzte die vormalige, einmanualige Orgel der Orgelbaufirma Marcussen. Ein niedriger Bogen, der den Altarraum vom übrigen Kirchenschiff trennt, ist ein akustisches Hindernis für den Orgelklang.
Lorenz Friedrich Mechlenburg war der Sohn des Pastors an der Amrumer St.-Clemens-Kirche Christian Riese Mechlenburg (1748–1833) und dessen Ehefrau Naemi Dorothea geb. Petersen (1770–1833). Von Kindheit an sprach er außer Deutsch und Dänisch den Amrumer friesischen Dialekt Öömrang. Nach dem Besuch der Gelehrtenschule in Husum studierte er an der Universität Kopenhagen Theologie und lernte zudem mehrere europäische Sprachen. 1825 bestand er sein Examen und kehrte nach Amrum zurück, um seinen fast achtzigjährigen Vater bei der Amtsführung zu unterstützen. Als sein Vater 1827 nach 40 Amtsjahren emeritiert wurde, wurde Mechlenburg sein Nachfolger. Damit war er nach seinem Großvater Friedrich Marstrand Mechlenburg (1710–1778), der von 1739 bis zu seinem Tod amtierte, und seinem Vater der dritte Pastor aus der ursprünglich aus Norwegen stammenden Familie Mechlenburg auf Amrum. Im selben Jahr heiratete er die Amrumerin Matje Tückes (1806–1874), eine Cousine von Knut Jungbohn Clement, mit der er zehn Kinder hatte. Sein jüngerer Bruder Christian Riese Mechlenburg gründete 1836 die von König Friedrich VI. „Königlich privilegierte Apotheke“ in Leck. Mechlenburg, der sich auf seiner Heimatinsel sehr wohl fühlte, bat mit Rücksicht auf seine Familie 1842 um die Versetzung auf die besser dotierte Stelle an St. Laurentii auf Föhr, die gemeinsam mit Amrum ein Kirchspiel bildete. Da der Grund für die Bewerbung so offensichtlich rein materieller Art war, erhielt er die Stelle nicht, sondern blieb bis an sein Lebensende auf Amrum.
Goldenes Zeitalter - Zeit der Trauer und Not
Das 17. bis 19. Jahrhundert war die Zeit des Walfanges und der Handelsseefahrt. Zum Walfang und zum Robbenschlag fuhren die Inselfriesen in das Eismeer zwischen Grönland und Spitzbergen, als Handelsseefahrer über alle Meere der Welt. Fast alle männlichen Einwohner waren ab dem 11./12. Lebensjahr Seefahrer, auf Amrum deren rund 150 – also fast alle männlichen Einwohner im erwerbsfähigen Alter von der ungefähr 600 Seelen zählenden Bevölkerung.
Menschen neigen dazu, die Drangsale und die Dramatik ihres Lebenslaufes zu verdrängen und in der Rückschau zu verklären, so wie es auch heute noch der Fall ist (damals war alles viel besser!). So wird allgemein die Zeit der inselfriesischen Seefahrt in der Literatur und in Erzählungen das „Goldene Zeitalter“ genannt. Aber die Fakten reden eine ganz andere Sprache. Das Goldene Zeitalter galt nämlich nur für solche Seefahrer, die Commandeure und Kapitäne, also Schiffsführer wurden. Und das waren prozentual nur sehr wenige, während sich die Menge der Seefahrer lebenslang mit Matrosenrängen begnügen musste und damit kaum Familien auf der Heimatinsel versorgen, geschweige denn Wohlstand begründen konnten. Regelrecht unerträglich wurde die Situation dann, wenn der Seefahrer – was damals noch häufiger vorkam als der Soldatentod im Weltkrieg – auf See sein Leben verlor. Dann blieb auf Amrum eine Familie unversorgt zurück, denn soziale Sicherungssysteme gab es damals nicht. Mit Tagelohn, dem Stricken von Wollsachen, einer kleinen Landwirtschaft mit einigen Schafen, im günstigen Falle mit einer Kuh und durch Unterstützung von hoffentlich noch lebenden Eltern und Großeltern musste die Witwe sich selbst und ihre Kinder durch das Leben bringen. Kein Wunder, dass die Knaben, vorzeitig aus der Schule entlassen, schon ab dem 11. Lebensjahr als Kajüten- und Schiffsjungen zur See gingen, um die Mutter mit kleinen Geldbeträgen zu unterstützen. Nach dem Tode stand auf dem Grab ein einfaches Holzkreuz, das der Witterung nicht lange standhielt. Gestorbene, die über einige Mittel verfügten, erhielten eine „Grabfliese“, an einem Pfahl befestigt. Diese Fliese war in der Regel aus Rotsandstein und enthielt neben den persönlichen Daten einige weitere Hinweise, entweder in eingemeißelter oder erhabener Schrift. Bei den größeren und oft sehr kunstvoll gestalteten Stelen auf dem St. Clemens-Friedhof zeigt schon die Menge im Vergleich mit den Gestorbenen, dass sich nur wenige Insulaner solche Grabplatten und Grabstelen leisten konnten. Kein Wunder, dass die schönsten und künstlerisch wertvollsten Grabdenkmäler den Commandeuren, Führer der Walfangschiffe, und den Kapitänen der Handelsseefahrt gesetzt wurden. Dazu gehören die Grabplatten an der südlichen Kirchenmauer, die noch am besten erhalten sind weil sie trocken an einer Mauer stehen. Weitere Grabplatten stehen am nordwestlichen Friedhofswall – einst auf den Gräbern von Müllern und Ratsmännern liegend. Die meisten Denkmäler aber hat die Familie Jensen – Olufs hinterlassen – eine Liegeplatte für einen bei Hallig Hooge verunglückten Sohn sowie für den Kapitän und Reeder Olufs Jensen und dessen legendären Sohn Hark Olufs sowie dessen Frau Antje Harken. Auch der schönste Grabstein auf dem Friedhof, vielleicht der schönste Seefahrer-Grabstein, der auf der Welt zu finden ist, gehört in diesen Familienkreis: der Stein des „wohledlen Capitains“ Harck Nickelsen, der – wie sein Vetter und späterer Schwager Hark Olufs – auch 1724 in die Hände osmanischer Seeräuber geriet und als Sklave in Algier diente. Nach zwei Jahren von Portugiesen freigekauft, führte er als Kapitän Kopenhagener Schiffe von Westafrika in die Karibik. Selbst einmal Sklave gewesen, verdiente er dabei so viel Geld, dass er bei seinem Tode 1770 der reichste Mann auf Amrum war und seine Witwe Marret sich diesen schönen Grabstein leisten konnte, gestaltet vom Föhrer Steinmetz Arfst Hanckens. Derselbe fertigte auch den Grabstein von Marret Harcken (Kinder und Ehefrauen erhielten nach der patronymischen bzw. andronamischen Namensregel den Vornamen des Vaters bzw. Ehemannes als Familiennamen). Die Grabsteine standen früher auf den jeweiligen Familiengräbern zerstreut auf dem Friedhof in schlichtem Rasengrün wodurch sie – frei von Blumenschmuck und sonstigen Zutaten – besonders betont wurden. Erst bei der Neuordnung des Friedhofes durch den Leuchtturm-Architekten Schmeißer, der sich an der ganz „unpreußischen Unordnung“ des Friedhofs störte, wurden die Grabsteine an den westlichen und nördlichen Friedhofswall gestellt.
Aber die damaligen Initiatoren wussten leider nichts von der erwähnten altertümlichen Namensgebung, dass Antje Harken die Frau von Harck Olufs und Marret Harcken die Frau von Harck Nickelsen war. So wurden die Grabsteine der Ehepaare voneinander getrennt und sollen jetzt bei der Neueinrichtung und Renovierung wieder zusammengefügt werden. Zu den dramatischen Fakten der Seefahrerzeit gehörte aber nicht nur der frühe und ferne Tod Amrumer Seefahrer. Die Grabsteine verraten auch mit stummer Dramatik den Tod zahlreicher Mütter, meist „bei der Erstgeburt“ im Kindbett. Von der See heimkehrende Männer standen immer wieder vor den Gräbern ihrer Frauen, wie z.B. beim Grönland-Commandeur Boh Karstens, der mit der ersten Frau Geeske nur 45 Wochen und mit der zweiten Frau 94 Wochen im Ehestande lebte. Aber beide haben schon „bei der Erstgeburt ihre Augen zugetan“, nur um die 20 Jahre alt. Und so klagt die Grabplatte, die auf dem gemeinsamen Grab lag, mit Jeremia 20: „Warum bin ich doch aus dem Mutterleib gekommen, dass ich solchen Jammer und Herzeleid sehen musste“. Ein Grabstein mit einem flotten Schmackschiff, ein damals häufiger Schiffstyp für die Küstenschifffahrt in Nordsee und Ostsee, wurde 1792 dem Schiffer Wilhelm Claasen gesetzt. Er war nicht weniger als viermal verheiratet, denn dreimal waren seine Frauen im Kindbett gestorben, wenn er von längerer Seereise nach Amrum zurückkehrte. Er heiratete dann Schnell wieder um den Kindern eine Mutter zu geben. So erzählt Stein um Stein dramatische Geschichten. Aber auch von langjährigen „vergnügten“ Eheständen ist auf einigen die Rede. Doch es überwiegt die Tragik in einer Zeit großer Nöte und auch hoher Kindersterblichkeit. Groß waren die Kinderscharen im 17. bis 19. Jahrhundert, aber nur wenige überlebten die Eltern und gründeten selbst wieder Familien. Nachkommen und an Heimat- und Inselfreunde haben nun die Möglichkeit über eine Patenschaft, die alten Grabsteine in Ehren zu bringen.
HIER LIEGEN ZWEI BEDECKT UND WAREN DOCH NUR EIN
CHARFREITAG BRACHTE SIE HIER UNTER DIESEN STEIN
DEN LETZTEN IN DIE ERD, DIE ERSTE AUS DER WELT
EIN GLEICHES END UND AUCH EIN GLEICHES TODTGEZELT.
ICH HOFFE WAN ICH LEB, ICH HOFFE WAN ICH STERBE
DURCH HOFNUNG, SCHANDENFREI WEIS
DAS ICH NICHT VERDERBE
DER BUCHSTAB IST MIR SWER, DOCH DER AM CREUTZ GEHANGEN
DEN FLUCH HAT ABGEWAND, UND ICH BIN FREI
DURCHGANGEN
SO IST HIE WOHL GESTREBT, WAN GLAUB UND HOFFNUNG LEBT
RUHEN LESER ALSO HIER, WIE ICH ETZT WILL SAGEN DIR
JUNG RÖRD RICKLEFS, GEBOREN AUF AMRON, D. 15 AUG. 1658
VERHEIRAHTET A0. 1679 2. A0 1693 GEFAHREN ALS
GRÖNLAND IN ALLES 34 JAHR ALS FÜR SCHLECHT U. STEURDER
9. HARPUNIER 1. STEURMANN UND HARPUNIER 15. COMMAMDEUR 9.
GEWESEN KIRCHENGESCHWORNER IN 27 JAHREN, GESTORBEN
A0. 1709 D. 26. MARTY A0. AET 51
MARRET JUNG RÖRDEN GEBOREN AUF AMRON A0. 1657
D. 28. NOVEMBER. VERHEIRAHTET 1679, IHREM EHEMANN GEBOREN
3 KINDER, ALS 1 SOHN UND 2 TOCHTER. GESTORBEN A0. 1686
AM CHARFREITAG A0 AET. 29.
Gott B.E.S.R. und S.A. um Christi Willen
Amen
(B.E.S.R. = bewahrt eure Seelen Ruhe, S.A. = seligen Andenkens?)
Der Commandeur Jung Rörd Ricklefs, wahrscheinlich identisch mit J. R. Riewerts, der in der Zeit von 1696 bis einschließlich 1704 — also neun Jahre — das Hamburger Walfangschiff ,,Bernhardus“ führte, heiratet nach dem frühen Tod seiner Frau in zweiter Ehe 1693 Jung Krassen, geboren 1651, gestorben am 19. Dezember 1736. Diese Ehe blieb offenbar kinderlos. Die schöne Grabplatte wurde 1855 bzw. 1859 für die Geschwister Minna (1824-1855) und Anine Ricklefs (1830-1859) benutzt und dabei für die primitive Inschrift die Ornamentik aus den beiden Ovalen herausgeschlagen. Die Inschriften der Geschwister stehen auf dem Kopf.
CHRIST KYRIE, KOMM ZU UNS AUF DIE SEE
HIER RUHET
KAPITAN WILHELM TÖNISSEN
GEB. 8. APRIL 1881 GEST. 19. OKT. 1929
Mit 15 Jahren zur See gekommen, führte er seit seinem 27. Lebensjahre die Viermastbark KURT nach der Westküste Südamerikas, nach Mexiko und Australien. 1916 im großen Kriege nahmen ihm die Nordamerikaner das Schiff und behielten ihn in Haft. 1919 kehrte er heim nach Nebel zu seiner Gattin GEORGINE geb. SIMONS mit der er seit 1904 in glücklicher Ehe lebte und 5 Kinder hatte, 2 Söhne und 3 Töchter. Er wirkte bis zu seinem plötzlichen Tod fröhlich mit Liebe für Familie und Insel.
GEORGINE TÖNISSEN geb. SIMONS
geb. 20. 5. 1883 gest. 10.01.1972
KURT TUNISSEN geb. 18. 6. 1920, auf See
geblieben mit der Bismarck am 27.05.1941
Wilhelm Tönissen und sein Grabstein sind dem alten Amrum zeitlich schon weit entrückt, sollen aber hier dennoch gezeigt werden, weil hier der gelungene Versuch gemacht wurde, das „moderne“ Einerlei durch eine stilistische Verbindung zu den Totendenkmälern früherer Jahrhunderte zu durchbrechen. Zugleich sind diese Kapitäne Représentanten Großer Seefahrt mit Segelschiffen, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch Dampfschiffe und die Folgen des 1. Weltkrieges endgültig von den Weltmeeren vertrieben wurden. Wilhelm Tönissen war einer der letzten großen Kapitäne von Amrum. Er führte von 1908 an die Viermastbark „Kurt“ der Hamburger Reederei Siemers & Co auf Salpeterfahrten rund um das berüchtigte Kap Hoorn zur Westküste von Südamerika und auf Zwischenfahrten mit Weizen von Australien und den USA. Hier wurde er 1914 vom Ausbruch des Weltkriegs überrascht, wurde später interniert und kam erst 1919 nach Amrum zurück.
KIRCHEN UND FRIEDHÖFE AUF AMRUM
Kirchen und Friedhöfe waren in vorherigen Jahrhunderten die absoluten Mittelpunkte des Dorf- und Stadtlebens zwischen Geburt und Tod - so auch auf Amrum. To hööw - „zum Gottesdienst“, versammelten sich früher die meisten Insulaner und Insulanerinnen, die seit alter Zeit und noch bis in die 1920/30er Jahre ihren festen, mit Namen markierten Platz auf den Kirchenbänken hatten. Das Steedengrippen, das Platzgreifen durch Verlosung und Kauf war ein alljährliches Ritual und die Kirchenplätze wurden auch von Generation zu Generation vererbt. Die Kirche war aber auch der "Neuigkeitsmarkt" der Insel. Vor und nach dem Gottesdienst wurden vor der Kirchentür die Ereignisse der letzten Woche sowie die Nachrichten von Amrumer Seefahrern aus aller Welt ausgetauscht, nachdem man im Gottesdienst schon manche Order der geistlichen und der weltlichen Obrigkeit sowie amtliche Bekanntmachung erfahren hatte. Denn auch diese wurden mangels anderer Publikationsmöglichkeiten durch den Pastor von der Kanzel verkündet. Die Urahnen der heutigen Inselfriesen und -friesinnen wanderten im 7./8. n. Chr. aus ihrer Ursprungsheimat Rheinmündung/Holland ein. Und sie waren Heiden, die ihrer alten Götter und Göttinnen Wotan, Thor, Freya, Hel und weiterer huldigten und ihnen zu Ehren vermutlich Tempel oder ähnliche Anlagen errichteten. Auf "antiquarischen" Karten früherer Jahrhunderte wurde der Versuch gemacht, solche Stätten zu lokalisieren, aber ohne faktischen Beweis. Die Wochentags-Bezeichnungen der heidnischen Götter und Göttinnen überstanden jedoch die Christianisierung und blieben bis heute erhalten:
Die Christianisierung erfolgte an der Nordseeküste spät, erst vom 8. bis ins 10. Jh. n. Chr., und war eine mühsame Mission, weil die Inselfriesen und -friesinnen ihre zupackenden Götter und Göttinnen höher achteten als die zarten christlichen Gläubigen mit ihrer Jungfrau Maria und dem Jesuskind. Erst als die dänischen Könige Harald Klak und die Gattin von Gorm, „dem Alten“ sich dem Christentum zuwandten, bekannten sich die Dänen und Däninnen im Königreich - wovon Amrum ein Teil war - ebenso dazu. Nach der Organisation des Kirchenwesens erfolgte der Bau erster Kirchen aus Holz. Um der Bevölkerung den Übertritt zum neuen Glauben zu erleichtern, wurden die ersten Kirchen entsprechend einer Anweisung von Papst Gregor I. auf den Stätten vorheriger heidnischer Tempel errichtet. Über die erste Amrumer Kirche geht die Legende, dass sie auf einer Feldmark nahe Steenodde, genannt Ual Hööw („Alte Kirche“) errichtet sein soll, weil der Amrumer Pastor Christian Riese Mechlenburg im Jahre 1776 glaubte, hier die Rudera einer Kirche gefunden zu haben, aber offenbar auf die Reste einer Salzsiederei gestoßen war. Eine Kirche auf Ual Hööw wäre auch ziemlich unsinnig, denn Süddorf lag zwar nur knapp zwei Kilometer, das damals größte Dorf Norddorf (Nebel gab es noch nicht) aber fast sieben Kilometer - ein ganzer Tagesmarsch für Kirchenbesucher - entfernt!
Die Kirche auf einer ärmlichen Insel
Die heutige Hauptkirche im heutigen größten Inseldorf, die St. Clemens-Kirche, wurde nach einer Mauerinschrift, die erst in jüngster Zeit anlässlich einer Renovierung entdeckt wurde, im Jahre 1236 erbaut. Allerdings ist die Inschrift offenbar nachträglich angebracht, weil sie mit arabischen, nicht wie damals noch üblich mit römischen Zahlen bzw. Bezeichnungen versehen wurde. Die Kirche liegt in einem Tal zwischen zwei Geesthöhen und viel näher bei Süddorf als bei Norddorf. Das mag erklären, dass als Ausgleich das Pastorat jahrhundertelang in Norddorf lag. Erst im Jahre 1758 wurde es auf Order des dänischen Königs nach Nebel verlegt und der Pastor konnte sich nun die Haltunq eines Pferdefuhrwerkes sparen, weil er unmittelbar neben der Kirche wohnte. Pastoren hatten auf Amrum keinen leichten Stand. Sie bekamen kein oder nur ein geringes Gehalt und mussten sich mit den geringen Entlohnungen kirchlicher Handlungen, freiwilligen Gaben heimkehrender Seefahrer, aber vor allem Einnahmen aus der kircheneigenen Landwirtschaft begnügen. Damit die Pastoren sich selbst ernähren konnten, hatte die dänische Regierung Landbesitz von Insulanern enteignet und der Kirche zugeteilt. So war die St. Clemens-Gemeinde auf Amrum mit etwa 70 Hektar der größte Besitzer landwirtschaftlich nutzbarer Flächen! Und diese Landfläche ist - von einigen Grundstücksvergaben für Zwecke des Schulwesens abgesehen - noch heute in Besitz der St. Clemens-Gemeinde. Die Nachbarinsel Föhr ist dagegen mit fruchtbarem Marschenland gesegnet und hier war die Erwerbs- und Ernährungsgrundlage immer viel höher als das „mehrenteils von Dünen und dürrem Heidekraut bedeckt(e)…“ Amrum, wie es in Berichten aus vorherigen Jahrhunderten heißt. Die FöhrerInnen nannten Amrum gerne "Sandknust" oder "Karnickel-Insel" wegen der vielen Wildkaninchen hier. Sie hatten mitten während der Christianisierung drei mächtige Kirchen (Boldixum, Nieblum, Süderende) zu bauen, deren wuchtige Türme zur Nachbarinsel grüßen. Verglichen mit dieser wohlhabenden Nachbarschaft hat Amrum tatsächlich eine eher kümmerliche Kirche. Sie hat keinen Unterbau aus harten Granit-Findlingen und keine Mauern aus Quader-, Back- und Tuffsteinen. Als die St. Clemens-Kirche in den 1980er Jahren gründlich renoviert wurde, zeigten die Mauern ein Sammelsurium von Feld- und Ziegelsteinen sowie Bautrümmern. Das äußere Bild der Kirche, wie man es jahrhundertelang kannte, vermittelt uns ein Gemälde des bekannten nordfriesischen Malers Carl Ludwig Jessen aus dem Jahre 1859. Erst im Jahre 1908 erhielt die Kirche den heutigen Turm, wobei es ein Bestreben der Kirchenältesten war, die Kirche vom benachbarten Sanatorium Ide zu unterscheiden, das einen turmähnlichen Anbau aufwies und von Inselbesuchern und -besucherinnen oft mit der Kirche verwechselt wurde! Das urtümliche äußere Bild setzt sich dann auch teilweise im Inneren fort, z.B. sollen die Deckenbalken des Kirchenschiffes von einem gestrandeten Schiff stammen. Auch über die Apostelfiguren mit dem überhöhten Christus an der Südwand geht die Legende, dass diese Figuren am Strand angetrieben wurden - nach der verheerenden Sturmflut im Jahre 1362, die den Hafenort Rungholt und andere Kirchen im Bereich des heutigen nordfriesischen Halligund Wattenmeeres zerstörte. An eine ganz andere Zeit erinnern die Kronleuchter über dem Mittelgang des Kirchenschiffes. Zwei davon wurden im Jahre 1671 von Grönland - Kommandeuren gestiftet, nach erfolgreichem Fang von Walen im nördlichen Eismeer. Die Grönlandfahrten im Dienste Hamburger und Holländer Reeder gehörten wie die sich daran anschließende Zeit der Handelsseefahrt zu den bedeutendsten Perioden der Inselgeschichte. Der wuchtige Taufstein stammt aus dem 13. Jahrhundert, der derbe Sakramentsschrank mit dem Gemälde des "Schmerzensmannes" aus der katholischen Zeit, die auf Föhr und Amrum mit der Reformation im Jahre 1525 zu Ende ging. Aus der katholischen Zeit ist noch ein wertvolles Stück, ein Missale - ein „Messbuch“ anno 1486 vorhanden, eines der ältesten Werke im heutigen Schleswig-Holstein. Das Kruzifix neben der Kanzel stammt aus dem 15. Jahrhundert, der Altaraufsatz mit seinen Gemälden aus dem Jahre 1634. Das Kruzifix wurde von Pastor Lorenz zum Tode Friedrich Mechlenburgs 1875 gestiftet, der Altaraufsatz von Pastor Martin Flor 1634, angeblich aus Dankbarkeit für die Bewahrung in der großen Sturmflut im Oktober 1624, die auf Alt-Nordstrand über 8000 Menschenleben kostete. Im Jahre 1886 erhielt die Kirche eine Orgel und zu diesem Zweck musste der Chor erhöht werden. Im Chor fallen zwei Gemälde von Pastoren sowie ein Epitaph, mit Goldbuchstaben geschrieben, auf. Das Epitaph erinnert an den aus Norwegen stammenden Friedrich Marstrand - Mechlenburg, der 1739 zum Pastor in der St. Clemens-Gemeinde berufen wurde und hier 38 Jahre wirkte. Ihm folgte von 1778 bis 1787 Carsten Christiansen, und von 1787 an bis 1875 wieder Vater und Sohn aus der Familie Mechlenburg. Besonders der Letztere, Lorenz Friedrich Mechlenburg, machte sich in der Insel- und Kirchengeschichte einen Namen durch umfangreiche Aufzeichnungen und als erster Vorkämpfer für die Bewahrung der friesischen Sprache. Er war verheiratet mit einer Insulanerin und ganz mit dem Inselleben verwachsen. Ein weiteres Bild, eine Fotografie, zeigt den Pastor Wilhelm Tamsen, von 1878 bis 1891 Pastor auf Amrum und einer der Initiatoren bei der Gründung der Insel als Badeort im christlichen Sinne durch die Seehospize von Pastor Friedrich von Bodelschwingh ab dem Jahre Die St. Clemens-Kirche erhielt erst 1908 einen Turm - 1890.
Quelle: der kleine Amrumer
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