▲ Jürgen (Rickmer) Rickmers - Kapitän in New York
Eine Lebensgeschichte erzählt von Ingke Rickmers 2020 nach Aufzeichnungen von Johannes Jensen
Föhr. Die nordfriesischen Inseln Sylt, Föhr, Amrum und die Halligen haben von der Mitte des 17. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts 2000 Kommandanten und Kapitäne für den Walfang und die Handelsschifffahrt ins Eismeer und über die Weltmeere geschickt - eine fast unglaubliche, aber belegbare Zahl, die wohl keine andere Landschaft der Erde vorweisen kann. Von vielen Kommandanten und Kapitänen ist heute allerdings nicht viel mehr als der Name bekannt, und es bedarf noch umfangreicher Recherchen in Kirchenbüchern und Archiven nordeuropäischer Hafenstädte, um den bloßen Namen Gestalt und Geschichte zu geben. Andere Kapitäne hingegen haben sich durch Bilder, Familiengeschichten oder auch schriftliche Aufzeichnungen ein bleibendes "Denkmal" gesetzt.
Einer dieser Kapitäne ist Jürgen Rickmers aus Süderende auf Föhr. Seine Eltern waren Lorenz Hinrich Rickmers und Ellena geb. Ketelsen. Der Vater war Lehrer und Küster und wohnte in Oldsum. Davor gibt es jedoch eine Reihe von bedeutenden Grönlandkommandanten, beginnend mit Jürgen Rickmers (1707-1782), der sich in Holland Jurian Riiks nannte, gefolgt von dem Sohn Rickmer Jürgens (1729-1805) und dessen Sohn Jürgen Rickmers (1765-1836). Aber auch aus der mütterlichen Linie, die das Leben des Walfangs und der Handelsschifffahrt prägte. Der letztgenannte Jürgen Rickmers war mit Elke geb. Lorentzen verheiratet. Ihr Vater, Lorenz Hayen, war ein bedeutender grönländischer Kommandant, der einst auf einer Fahrt ins Eismeer 25 Wale fing. Und der Vater von Ellena Ketelsen, Jacob Ketelsen, war Kapitän der Königlich Dänischen Handelsflotte für die Verbindung mit Island und Grönland.
Jürgen Rickmers wurde am 14. Februar 1825 geboren, zehn Tage nach der großen Sturmflut, die den Föhrer Deich durchbrach und die gesamte Marsch überflutete. Sein Enkel, Johannes Jensen, hinterließ eine Aufzeichnung über Jürgen Rickmers' Leben als Seemann, die dem Autor Harro Ketels, Hamburg, zur Verfügung gestellt wurde. Johannes Jensen schreibt über seinen Großvater: Er segelte als junger Steuermann mit seinem Onkel Ocke Hinrich Flor für die Reederei Sloman von Hamburg nach New York. 1849 kamen zwei Amerikaner und fragten Kapitän Flor, der sich im New Yorker Hafen aufhielt, ob er ihnen einen guten Kapitän für ihr neu erworbenes Schiff empfehlen könne. Er empfahl ihnen seinen Steuermann, Jürgen Rickmers. Doch Jürgen war ziemlich überrascht und da er erst 23 Jahre alt war, äußerte er seine Bedenken und bat um eine Bedenkzeit von 24 Stunden. Sein Kapitän aber sprach ihn mit Donnerstimme an und fragte ihn, ob er ein guter Kerl sei und den Job annehmen würde. Daraufhin sagte Jürgen Rickmers zu. Er segelte in der Zeit von 1851 bis 1863 von New York bis an die Küste Chinas und hatte mehrere Schiffe kommandiert, die Barken „Mary Antionette“, „Mathilde“, „St. Andrew“, den Klipper „Adpuster“, die Vollschiffe „Back Sea“ und „Merkur“. Mit der Bark „Mathilde“ geriet er während des Taiping-Aufstandes (1850-1864) an der chinesischen Küste in einen Taifun. Das Schiff wurde völlig „entmastet“ und ging verloren. Die Mannschaft wurde von einem Dschunkenführer gerettet und drei Wochen lang versteckt. Nach dem Verlassen des Schiffes hatte sich Kapitän Jürgen Rickmers an seine Seekiste gebunden, die sich heute noch im Besitz der Familie befindet. Später wurde die Besatzung in Hongkong an Land gebracht. Durch den dreiwöchigen Aufenthalt auf der Dschunke waren die Schiffbrüchigen sehr verwahrlost. Einmal trafen sie auch auf chinesische Piraten. Als sie in Hongkong ankamen, gab der Kapitän dem Dschunkenführer seine goldene Uhr mit der langen Kette und legte sie ihm um den Hals. Großvater sagt, dass er nie wieder ein so glückliches Gesicht gesehen hat wie bei diesem Kapitän.
Als er an Land kam, meldete er sich beim amerikanischen Konsulat und wurde dort neu eingekleidet. Er bekam neue Unterwäsche, einen langen Seidenrock und eine Seidenweste, einen Panamahut und einen Spazierstock mit einem goldenen Ring. Die Kleidung befindet sich noch in unserem Besitz. Mit dem nächsten Schiff reiste er nach New York und musste sofort in ein Krankenhaus gehen. Sein Zustand war sehr prekär und verbesserte sich nur langsam. Ihm fielen die Haare aus und er wurde völlig blind. Inzwischen hatte die Nachricht vom Untergang des Schiffes seine Heimat erreicht, und es war nicht bekannt, ob es Überlebende gegeben hatte. Man kann sich die große Traurigkeit vorstellen, die die Familie befiel. Aber nach einiger Zeit traf sein Bruder Ingwert Rickmers, der Kapitän eines Schiffes von Hamburg nach New York war (u.a. für die Reederei Jonas Gabriel Lund, die Schiffe "St. Andrew" von 1858-59 und die "Catharina" 1863), dort ein und erhielt vom Reeder die Nachricht, dass sein Bruder im Krankenhaus sei. Er fuhr sofort zu ihm und schrieb einen Brief an seine Frau Tattje mit der Nachricht, dass Jürgen gerettet sei und lebe. Mit seinen blinden Augen unterschrieb Jürgen Rickmers den Brief. Dies war das erste Lebenszeichen, das seine Frau nach einem Jahr von ihrem Mann erhielt. Übrigens war er völlig genesen, hatte seine Haare und sein Augenlicht zurück.
Im Hafen von New York wartete bereits ein neues Schiff auf ihn, mit dem er wieder Reis aus China holte. Um während des noch andauernden Sezessionskrieges (Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten der USA von 1861-1865) nicht von der anderen Partei gekapert und aufgebracht zu werden, ließen die Reeder das Schiff auf den Namen von Kapitän Jürgen Rickmers registrieren, da er als dänischer Staatsbürger Amerika gegenüber neutral war. Die Schiffseigner hießen Funk und Meinke, der eine aus Hamburg, der andere aus Dänemark. Sie müssen großes Vertrauen in ihren Kapitän gehabt haben, dass sie ihm ihr Schiff (formell) überließen. Es ist auch vorgekommen, dass dieses Vertrauen missbraucht wurde und ein Kapitän das Schiff während der Reise in einem Hafen verkaufte.
Es gibt viele Dinge über meinen Großvater, an die ich mich noch erinnern kann. Er erzählte mir, wie er in die Steuermannsschule in Tönning gehen musste. Er stieg in Dagebüll von der Fähre um und ging von dort mit seinem Seesack auf dem Rücken nach Tönning, immer am Deich entlang. Wenn er als Matrose auf den Schiffen der Krogmannschen Reederei fuhr, wurde seine Hose aus Bramstuch für den Landgang bei der Heimkehr auf der Elbe mit Sand und Seife weiß geschrubbt. Als Kopfbedeckung trug er ein blaues Wollhemd, einen Seidenschal um den Hals und einen schwarzen Schlapphut. Ein "Prapaket", eine blaue Stoffjacke, wurde nur getragen, wenn man Steuermann war. Großvater fuhr fort zu erzählen: "Als ich meine Steuermannsprüfung ablegte, wurde ich mit Sloman bezahlt. Mein Kapitän war mein Onkel Ocke Hinrich Flor aus Oldsum. Wir brachten Passagiere (vor allem Auswanderer) nach New York. Mitten auf einer Reise brach unter den Passagieren die Cholera aus, viele Menschen starben. Jeden Tag musste ich als jüngster Steuermann die Leichen in Segeltuch einnähen und über Bord werfen. Einmal, als ich mittags meine Runde durch das Schiff machte, stand ein breitschultriger Däne an das Schott gelehnt und löffelte genüsslich seine Erbsensuppe. Er sagte, dass ihm die Cholera wohl nichts anhaben könne. Eine Stunde später rief ein Matrose: "Steuermann, ein Mann mit Cholera." Ich eilte hin und sah einen Leichnam an Deck liegen, ganz zusammengekauert. Es war die große Dogge.
Großvater erzählte einmal die folgende Geschichte: "Als in Kalifornien Gold gefunden wurde, verließ ein großer Teil der Besatzung in New York heimlich das Schiff, um sich auf die Suche nach Gold zu machen. Mein Schiff konnte mit der reduzierten Besatzung nicht wieder abfahren und meine Bemühungen, auf normalem Wege Leute zu bekommen, waren erfolglos. So war ich leider gezwungen, den Shanghai Master einzusetzen." (Der Shanghai Master rekrutierte betrunkene Leute und brachte sie in betrunkenem Zustand an Bord, wo sie dann - draußen auf See wieder ausgenüchtert - unfreiwillig an der Reise teilnehmen mussten).
Während des amerikanischen Sezessionskrieges verdiente Großvater sehr viel Geld. Die Frachten waren sehr hoch und laut Vertrag hatte der Kapitän einen Anteil am Gewinn. So konnte er mit seinem Vermögen relativ früh die Seefahrt aufgeben. Aber er hat nie krumme Geschäfte gemacht. Er handelte nach dem Satz: „Was auf See nicht ehrlich verdient wird, ist nicht gesegnet.“
Als Großvater nach Hause kam, war er 45 Jahre alt. Er konnte von den Zinsen seines Kapitals leben, bewirtschaftete aber noch einen kleinen Bauernhof. Großmutter war oft krank und starb im Alter von 54 Jahren an Krebs. Großvater hatte viele Ehrenämter. Er war der erste Gemeindevorsteher, nachdem Schleswig-Holstein preußisch wurde, auch Mitglied des Kreistages, Stellvertreter des Straßenvereins, Schulvereins und andere. Wenn wir die Zeitung vom Postamt in Oldsum abholten, bekamen wir einen knappen Pfennig ...
Soviel zu den Aufzeichnungen von Johannes Jensen.
Jürgen Rickmers hatte in seiner Zeit als Kapitän erstaunlich viele Schiffe geführt, mehr als jeder andere Segelschiffskapitän dieser Zeit, und von allen inselfriesischen Schiffskapitänen hat er die meisten "Kapitänsbilder" hinterlassen. Ein sehr schön gestaltetes Gemälde bei Inge Rickmers in Süderende zeigt zwei Schiffe, nämlich die "Black Sea" und wahrscheinlich die "Mary Antionette", erstere mit amerikanischer Flagge, letztere mit Hamburger Flagge, im Hintergrund die Insel Helgoland, obwohl beide Schiffe wohl nie vor der Elbe und in Hamburg gewesen sind. Beide Schiffe befanden sich aber eine Zeit lang im Besitz des Hamburger Reeders Jonas Gabriel Lund sowie der New Yorker Reederei Funch und Meincke. Zwischen den deutschen und amerikanischen Reedern gab es offensichtlich längere Verbindungen. Die "Mary Antionette", 1845 in Sunderland gebaut und zunächst als "La Belle" unter britischer Flagge gefahren, wurde im November 1851 von Meincke gekauft und erhielt Jürgen Rickmers als Kapitän.
Die "St. Andrew" fuhr ebenfalls unter russischer Flagge, zunächst als "Aina" und wurde 1857 von Funch und Meincke gekauft. Beide Schiffe waren also zunächst im Besitz eines Hamburger Reeders, fuhren aber offensichtlich nicht von Hamburg, sondern von New York aus. Die "St. Andrew" wurde später von Jürgen Rickmers geführt. Sein Bruder übernahm 1863 das Kommando über die Bark "Catharina", die dem Hamburger Reeder Jonas Gabriel Lund gehörte und ebenfalls von New York aus segelte. Im Haus von Inge Rickmers befand sich auch ein schönes Gemälde der Bark "St. Andrew". Es befindet sich jetzt in Hamburg.
Ein drittes, sehr ausdrucksstarkes Gemälde des Vollschiffs "Jupiter" hängt im Haus von Johannes Jensen oder Ruth Jensen in Süderende. Dieses Schiff zeigt den Danebrog (dänische Flagge) und ist daher wahrscheinlich eines jener Schiffe, die während des Bürgerkrieges zum Schutz des Föhrer Kapitäns als neutraler dänischer Staatsbürger nicht gezeichnet wurden. Schließlich gibt es noch ein viertes Bild von Kapitän Jürgen Rickmers im Haus von Riewert und Elke Roeloffs in Süderende. Es zeigt das Vollschiff "Merkur", das ebenfalls unter dem Danebrog fährt. Es gibt auch sehr schöne Fotoportraits des Kapitäns, sowie ein Buch mit Aufzeichnungen über seine finanziellen Verhältnisse. Eine Liste aus dem Jahr 1868 zeigt zum Beispiel, dass Jürgen Rickmers amerikanische, dänische und deutsche sowie russische und norwegische Anleihen besaß, Geld an Föhrer Landsleute verliehen hatte und insgesamt 30.204 Taler besaß.
Jürgen Rickmers blieb fest in seiner Heimat verwurzelt. Mit seiner Frau Tattje (Tatt) Rickmers, geb. Braren, die er 1849 während seiner Steuermannszeit heiratete, hatte er fünf Kinder, die alle auf Föhr geboren wurden, einmal jedoch mit einer siebenjährigen Unterbrechung, was auf die lange Abwesenheit des seefahrenden Ehemannes hinweist.
Nachdem Jürgen Rickmers nach dem frühen Tod seiner Frau 24 Jahre lang als Witwer gelebt hatte, war er - wie Johannes Jensen berichtet - Erzieher und Vormund seiner Enkelkinder. Er starb im Kreise der Familie am 17. Juni 1907 an Altersschwäche und fand, wie seine Kapitänsvorfahren, seine Ruhestätte auf dem St. Laurentii-Friedhof.
Auch Frederik Brar Rickmers, Sohn von Tatt Braren und Jürgen Rickmer Rickmers liegt hier begraben.