Friedhöfe und Seuchen

Als „Schwarzer Tod“ hat sich die Pest im kulturellen Gedächtnis der Menschheit verankert. Die Pest als Pandemie ist größtenteils Geschichte, die Verhaltensmuster der Menschen sind es leider nicht. Das Ausgrenzen von Bevölkerungsgruppen und ihre Verfolgung wegen einer vermeintlichen Bedrohung ist ein Muster, das sich bis in die Gegenwart fortsetzt.

 
Das Leiberger Seuchenkreuz aus 1635
 

Für Westfalen ergibt sich ein besonderer Bezug zur Pest: Einer der wenigen erhaltenen und bekannten Pestfriedhöfe findet sich im Wünneberger Stadtteil Leiberg im Kreis Paderborn. Die Pestwellen vom 14. bis zum 18. Jahrhundert in Europa führten zu extremen Todeszahlen, welche durch Einzelbestattungen auf dem örtlichen Friedhof allein aus Platzgründen nicht mehr aufgefangen werden konnten. Da diese Nähe zudem die Gefahr einer weiteren Verseuchung erhöhte, bestatteten die Einwohner ihre Toten entgegen der christlichen Praxis häufiger in Massengräbern außerhalb des Ortes. 

 

„ANNO 1635 DEN 25. [AV]GVST HAT VNS GOT DIE PESTILENS GESANT.

WIE MANGEM IST BEKANT SINT VOM DORF LEBERG 400 MENSCHEN GESTORBEN,

DENEN GOT DIE SELIKIT ERWO[RBEN].“

 

"Unser liebes Dorf Leiberg (1490 gegründet) am nördlichen Rande des Sauerlandes erlebt im August 1635 mitten in den Wirren des 30jährigen Krieges (1618 - 1648) die dunkelste und traurigste Epoche seiner Geschichte. Ein Bettelmönch aus dem Warburger Land schleppt die fürchterlichste Krankheit jener Tage in die beschaulichen Gassen des Bauerndorfs Leiberg:  Der schwarze Tod hält reiche Ernte."

 

"Die Pest, die Pest, die Pest!" schreien verzweifelt die Menschen. Weit unten im Tal unter einer Linde ("Pestlinde") geht Lubbert Schumaker einer traurigen Arbeit nach: Unablässig sind die wuchtigen  Hammerschläge des Sargschreiners zu hören, der auf dem Leichenplatz mehr als 400 Särge zimmert. Die Seuche hält im Sommer 1635 reiche Ernte in den engen Gassen der strohbedeckten Häuser in Leiberg. In ihrer Not beten die Menschen zu ihrem Schöpfer und erflehen ein Ende der Pest. Am Bartholomäusfest (24. August) findet der Notschrei der Gepeinigten Gehör: Das letzte Pestopfer wird fernab des Dorfes auf dem Pestfriedhof einer wüstgefallenen Kapellengemeinde (Fornholte) im Hochwald zu Grabe getragen.  Seit diesen  Tagen feiern die Leiberger Jahr für Jahr bis zum heutigen Tage ausgelassen ihr Bartholomäusfest ("Battelmai"). Und jährlich zu Pfingsten lösen die Leiberger ein jahrhundertealtes Gelübde ein  und führen von der  St. Agatha-Pfarrkirche  eine Prozession zum zweieinhalb Kilometer entfernt liegenden Pestfriedhof in den Wald. Sargschreiner Lubbert Schumaker, der vermutlich auch seine eigene junge Ehefrau einsargen muss,  errichtet zum Gedenken an die Tragödie ein steineres  Kreuz auf dem Pestfriedhof, das in bewegenden Worten vom Unglück in Leiberg berichtet. Das Leiberger Pestkreuz ist eines  der wenigen Seuchenkreuze in Westfalen.

 

 

 

Der "Pestprediger" von Wengern und Bommern

Es war eine finstere Epoche. Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) begann als Religionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten und war auch ein Konflikt um die politische Vorherrschaft in Europa. Kriegszüge, Plünderungen, Hungersnöte und Seuchen verheerten und entvölkerten weite Teile Deutschlands. Etliche Künstler und Literaten haben die Not der Menschen in der Zeit dieses Krieges in ihren Werken verarbeitet. Der Dichter Julius Sturm schreibt: »Da sah’s im Dorf gar übel aus / die Scheuern leer, kein Brot im Haus; / Im Stalle weder Pferd noch Kuh, / und vor dem Feind die Furcht dazu.«  

 

In Bommern hinter dem evangelischen Friedhof steht an der Straße „Im Brahm“ ein Denkmal für einen Mann, der in dieser schweren Zeit eine gute Rolle gespielt hat. Die Wittener gehörten der protestantischen Kirche an und wurden von den Streitkräften der Gegenreformation bedroht. Witten lag an einer wichtigen Straße, so dass die Stadt immer wieder von verschiedenen Heeren besetzt wurde. Die Söldner kamen aus anderen Teilen Deutschlands und Europas. Besonders die Menschen in den Vororten und den verstreut liegenden Bauernhöfen hatten unter der mordenden und brandschatzenden Soldateska zu leiden.

Als der Krieg allmählich aufhörte, ein Glaubenskrieg zu sein, belagerten im Jahre 1635 die protestantischen Schweden zehn Tage lang die Stadt. Nach der Zwangserhebung von Geldbeträgen war Witten völlig verarmt – historische Quellen künden vom Elend, das der Krieg über die Bevölkerung gebracht hatte. Hier ist von den »erschöpften und abgebrannten Einwohnern« die Rede. Besonders die prekäre Situation der Menschen in Bommern ist gut dokumentiert. Das Lebensgefühl war von großer Angst bestimmt – viele Zeitgenossen deuteten den Krieg gar als Zeichen des nahe bevorstehenden Weltunterganges.

 

Das Denkmal erinnert an Johannes Fabricius, der im Jahre 1636 im Alter von 91 Jahren Gottesdienste für seine Gemeinde abhielt. Er war Pfarrer und hatte das Amt längst an seinen Sohn übergeben. Doch der war drei Jahre zuvor von plündernden Söldnern aus Lothringen erschossen worden, als er vom Fenster des Pfarrhauses aus versuchte, mit ihnen zu verhandeln. Also war Johannes Fabricius wieder in den Pfarrdienst zurückgekehrt.

Bommern gehörte damals zur Gemeinde Wengern und dort war die Pest ausgebrochen, jene grauenvolle Seuche, die seit dem Mittelalter „Der schwarze Tod“ genannt wurde. Wegen der Ansteckungsgefahr trauten sich die Bommeraner nicht mehr nach Wengern in die Kirche. Also kam Fabricius jeden Sonntag zur Gemeindegrenze in der Deipenbecke und hielt dort, wo heute das Denkmal steht, den Gottesdienst unter freiem Himmel ab. Getrennt durch den Bach hörten auf den sich gegenüberliegenden Hängen Bommeraner und Wengeraner gemeinsam die Worte ihres Pfarrers. Die Pest sollte trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bald auch auf Bommern überspringen. Johannes Fabricius’ Dienst an der Gemeinde blieb in Erinnerung: Im Jahre 1843 errichteten ihm die Gemeinden Bommern und Wengern das Denkmal.

 

Es verwitterte in den kommenden Jahrzehnten und versank immer tiefer im weichen Boden der Deipenbecke. 1921 legten ihn die Lehrer Karl Siepmann und Andreas H. Blesken[*] mit ihren Schülern anlässlich eines Wandertages wieder frei. Seit 1925 findet hier alljährlich ein Gedenkgottesdienst für Johannes Fabricius statt, der trotz seines abrahamitischen Alters seiner Gemeinde geistlichen Trost zugesprochen hat.

 

Ein Vers aus dem Alten Testament steht in großen Lettern auf der Mauer: »Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben. Ihr Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach«. 

 

[*] Andreas Heinrich Blesken (*09.08.1874 - †14.11.1959), geb. in [Soest-] Ampen, er besucht hier die Volksschule und danach die Rektoratsschule in Soest, 1890-1896 die Präparande und das Lehrerseminar in Soest, 1896-1899 ist er Lehrer in Hattingen, ab 1899 Lehrer in Bommerholz, heute Witten-Herbede, 1908 hier Hauptlehrer, 1930-36 ist er Rektor in Hagen-Vorhalle, lebt nach seiner Pensionierung in Witten-Bommern; er stirbt hier am 14. November 1959. 

 

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