Die Wirren des Zweiten Weltkrieges haben auch in Witten massive Spuren hinterlassen. Die Luftangriffe des Jahres 1944/45 legten ca. 80 Prozent der Innenstadt in Schutt und Asche. Was noch übrig blieb, geriet zunehmend in Vergessenheit. Die Menschen hatten Wichtigeres zu tun: Sie mussten für den allgemeinen Wiederaufbau sorgen, für wirtschaftliche Stärkung – da war für Denkmalschutz nur wenig Raum. Erst in den 70er-Jahren besann man sich seiner historischen Güter und sorgte für deren Instandhaltung: darunter auch die Ruine des Hauses Witten (auch Haus Berge genannt) – eines vormaligen Herrensitzes. Dessen Schicksal wurde maßgeblich bestimmt vom Wirken seiner Besitzer: den Adelsfamilien von Witten, von Brempt und von der Recke sowie den Fabrikanten Lohmann.
Promenade anno 1898 am Haus Witten. Diplom-Ingenieur Friedrich „Fritz“ Böcker war 1896 bis 1903 Königlicher Eisenbahndirektor in Witten. Als Hobbymaler warf er gern einen romantisierenden Blick auf die Stadt und vor allem das Ruhrtal. 1898 zeigte er unter dem Titel „Grüße aus Witten“ eine Privatausstellung im Märkischen Museum. Unter den 31 ausgestellten Aquarellen war diese Darstellung von Haus Witten, die Böcker 1898 malte. Im Hintergrund erkennt man die ehemaligen Zechenanlagen auf der Bommerbank. Quelle: WAZ, Reproduktion: Davide Bentivoglio.
Modell Haus Berge Witten im Maßstab 1:100
Ahlemann Modellbau
Architekten: Busse / Klapp
Über eine Brücke gelangt man in den Stadtpark, der einst der Garten der Lohmanns war und der die Innenstadt mit einem romantischen Fußweg an den „Hammerteich“ (20 min.) und „Hohenstein“ (35 min.) anbindet.
Freigelegter Brunnenschacht aus Sandstein 16./17. Jh. Der Brunnen hatte einen Durchmesser von einem Meter. Er bestand aus 2 Teilen: einem runden Brunnenschacht und einem quadratischen gemauerten Oberteil. Die Brunnentiefe ist nicht bekannt. Ursprünglich erstreckte dich der Burghof bis an den Brunnen. Die Gebäudewand über dem Brunnen wurde erst im 19. Jh. Errichtet. Zu diesem Zweck wurde der Brunnen mit einer schweren Steinplatte abgedeckt.
Seit die Industriellenfamilie Lohmann Anfang des 19. Jh. in den Kellerräumen, im Westflügel und im westlichen Vorgelände der Burg eine Stahlfabrik einrichtete, wurde Haus Witten zum Ausgangspunkt der Wittener Industriegeschichte. Im sanierten und mit Architekturpreisen ausgezeichneten Haus Witten können im Keller die Lohmannschen Versuche zur Herstellung von Tiegelgussstahl nachvollzogen werden. Die hier ausgestellten Gusstiegel zählen zu der älteren Lohmannschen Betriebsausstattung und vermitteln einen Eindruck von der frühindustriellen Produktionsweise vor dem fabrikmäßigen Ausbau. Die Gusskokillen wurden im Rahmen von Ausgrabungen 1988-90 freigelegt. Diese industriearchäologischen Funde sind heute am Originalschauplatz der Experimente ausgestellt. Im Kellerboden befinden sich noch Reste eines Metallschmelzofens aus dem 17. Jh. für die Herstellung von Messing. Der aus Sandstein und Lehm gemauerte Ofen zählt zum Typ der Windöfen. Der Windkanal ist in den Boden eingetieft und war mit Steinplatten abgedeckt. Der Oberboden bestand aus hochkant gestellten Sandsteinplatten, so dass sie einen Rost bildeten. Durch diesen Rost erhielt das Feuer von unten einen Luftzug, eine wichtige Voraussetzung für die Metallschmelze. Ausgegrabene Kokillen im Keller von Haus Witten: Ausgegrabene Kokillen im Keller der Musikschule von Haus Witten zeugen von den frühen Experimenten zur Stahlherstellung, die Johann Friedrich Lohmann d. Ä. im 18. Jahrhundert hier durchführte.
Der Firmengründer Johann Friedrich Lohmann hat sich 1790 dazu entschlossen in Witten Fuß zu fassen und gründete auf dem Areal von Haus Witten (damals Haus op dem Berge) eine Tiegelgussstahlfabrik. Hieraus entwickelten sich die beiden heutigen Werke der Friedr. Lohmann GmbH in den Stadtteilen Herbede und Annen.
Die Stahlskulptur von dem Haus Witten symbolisiert die Herstellung von Tiegelgussstahl in den Anfängen. Sie soll an die großartige Pionierleistung von Johann Friedrich Lohmann zusammen mit seinem Sohn erinnern. Die „Nacherfindung“ des ursprünglich aus England stammenden Tiegelgussstahls legte den Grundstein für die außergewöhnliche Geschichte des Unternehmens. Nach dreijährigen kostspieligen Versuchen in den Jahren 1809 bis Anfang 1812 gelang es Johann Friedrich Lohmann zusammen mit seinem Sohn den Tiegelgussstahl zu produzieren und somit die Monopolstellung Englands auf dem Gebiet der Gussstahlerzeugung zu durchbrechen. Das Spezialprodukt der Lohmänner verdankte seinen Namen dem Herstellungsprozess: In Tiegeln aus Ton und Graphit wurde Stahl noch einmal eingeschmolzen. Die „zweite Hitze“ führt zu chemischen Reaktionen mit dem Tiegelmaterial. Es entsteht ein verfeinerter, homogener Stahl, der sich durch hohe Belastbarkeit und Zuverlässigkeit auszeichnet. Anlässlich des 225jährigen Firmenbestehens der Friedr. Lohmann GmbH wurde diese Skulptur an die Stadt Witten überreicht. Diese Skulptur, die von der Wittener Künstlerin Angelika Pietsch entworfen wurde, soll an die Ursprungsstätte des Tiegelgussstahls am Haus Witten erinnern.
Im Keller des Hauses befindet sich zusätzlich eine kleine Dauerausstellung mit historischen Funden, die in Verbindung mit Haus Witten und der Stadt Witten selbst stehen.
Eine Schnelle ist ein schlanker, hoher, zylindrisch sich nach oben verjüngender Bierkrug aus weißlich-grauem Steinzeug mit Henkel und metallenem Deckel. Nachfolger der Schnelle in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren der gedrungenere Humpen und der bauchige und niedrigere Henkelkrug, beide ebenfalls meist mit Zinndeckeln. Sie wurden im 16. Jahrhundert und 17. Jahrhundert in Siegburg angefertigt und sind meist reich mit Allegorien verziert. Zu dieser Zeit gehörte Siegburg zum Herzogtum Berg unter Wilhelm dem Reichen (1539–1592), und deswegen sind häufige Motive auf Schnellen das Wappen von Jülich-Kleve-Berg und das Porträt Wilhelm des Reichen.
Der Gutshof ›op dem Berge‹
Gegründet wurde der Herrensitz vom einstigen Gerichtsherrn Franko von Witten (gest. 1469). Dieser erbte das Gelände südlich des damaligen Dorfes Witten – einschließlich der Gerichtsherrenrechte – von seinem Onkel Wennemar und errichtete darauf, vermutlich vor 1450, einen quadratischen Wohnturm, der von Palisaden-Gräben umgeben war. 1479 wurde die Anlage als Gutshof ›op dem Berge‹ erstmals urkundlich erwähnt und von Frankos Sohn Rötger (gest. 1505) weiter ausgebaut. Dieser blieb jedoch ohne männliche Nachkommen, weshalb er 1501 seinen Schwiegersohn Dietrich Stael von Holstein (gest. 1526) von der Burg Hardenstein als Erben bestimmte. Da auch dieser keinen männlichen Nachkommen hervorbrachte, gingen die Herrschafts- Güter und Gerichtsherrenrechte 1510 auf Heinrich von Brempt (gest. 1539) über. Dessen Familie herrschte für die nächsten 132 Jahre.
Der Ausbau zur repräsentativen Burganlage
Heinrich von Brempt baute Haus Witten zu einer repräsentativen Burganlage aus. So wurde die Palisadenumwehrung aufgegeben. Stattdessen wurde neben dem vorhandenen Wohnturm ein Bergfried, ein Wirtschaftsgebäude, diverse Stallungen, ein Palas sowie ein Mauerring mit Ecktürmen errichtet. Die von Brempt’sche Linie erlosch mit Lübbert (gest. 1646), der 1628 mangels männlichem Nachkommen die Herrschaft Witten auf seinen Schwiegersohn Gerhard von der Recke vom Hause Scheppen bei Werden übertrug – und dies wenig später bitter bereute. Bis zu seinem Lebensende prozessierte er erfolglos um die Wittener Besitzungen.
Plünderung durch spanische Söldner
Und als wäre dies nicht genug: Während der Herrschaftszeit Lübberts von Brempt trafen die Auswirkungen des spanisch-niederländischen Krieges (1568–1609) sowie des 30-jährigen Krieges (1618–1648) Witten – und damit auch Haus Berge – mit voller Wucht. Besonders großen Schaden richteten desertierte spanische Söldnerbanden an. Diese plünderten das Dorf 1599, 1623 quartierten sich spanische Reiter aus dem Heer des Don Philipp de Sylva in Haus Witten ein, 1626 und 1638 folgten erneut Überfälle spanischer Truppen. Noch 1651, im Verlaufe des Jülisch-Klevischen Erbfolgestreites, kam es zu einer teilweisen Zerstörung des Herrensitzes durch versprengte lothringische Truppen.
Haus Witten erhält sein barockes Gepräge
Aber auch die Herrschaft der Familie von der Recke währte nicht ewig. Als Gerhard Wennemar – der Enkel von Lübberts verhasstem Schwiegersohn – 1747 ohne männlichen Nachkommen starb, ging Haus Witten nach einigen Rechtsstreitigkeiten an eine Düsseldorfer Nebenlinie, die das Haus verwaltete. Dennoch hatten die von der Reckes großen Einfluss auf die Gestaltung des Anwesens. Sie gaben ihm sein barockes Gepräge, das in Grundzügen bis zum Zweiten Weltkrieg erhalten blieb. So wurde der Innenhof mit hochkantgestellten Sandsteinplatten gepflastert, während der Wohnturm unterkellert wurde. Daneben wurde die alte Burg in eine vierflügelige Anlage umgebaut und der Palas mit dem Wohnturm zu einem Gebäude zusammengefasst. Das Äußere der Anlage wurde durch zwei Ecktürme ergänzt, das gesamte Schloss von einem Wassergraben umgeben. Östlich der Anlage entstand ein großzügiger, mit Skulpturen geschmückter französischer Garten mit einem 1704 vollendeten Orangeriegebäude.
Nutzungsänderung durch die Familie Lohmann
Die letzten Gerichtsherren von Witten, die auf Haus Berge residierten, waren Friedrich Johann Wilhelm Freiherr von Ritz und sein Sohn Franz Joseph (gest. 1836). 1788 verpachteten sie das Anwesen mitsamt der umliegenden Ländereien an den Schwelmer Unternehmer Johann Friedrich Lohmann (gest. 1824). Mit dem Ende der Patrimonialherrschaft in Witten erloschen 1809 auch alle zum Haus Berge gehörenden Hoheitsrechte. Das 312 Morgen große Gelände ging daher 1815 endgültig in den Besitz der Familie Lohmann über – für 80.000 Taler. Durch die Familie Lohmann kam es auf Haus Witten zu einer einschneidenden Nutzungsänderung. Anders als seine Vorgänger wohnte der Schwelmer Fabrikant hier nicht nur, er errichtete auf dem Gelände auch eine Stahl- und Feilenfabrik sowie eine Kornbrennerei. 1878/79 wurde das Äußere des Hauses dem damaligen Zeitgeschmack angepasst: Der an der Ruhrstraße gelegene Eckturm erhielt einen ›wehrhaften‹ Zinnenkranz statt eines Daches. Dennoch: Trotz der Umbauten war Haus Witten für die Familie Lohmann nicht mehr als ein repräsentativer Hauptsitz. Die Familienmitglieder zogen es vor, sich neue Wohnsitze zu errichten. So erbaute sich Friedrich Lohmann 1865/66 eine Villa anstelle der ehemaligen Orangerie. Seinen Bruder Ernst Lohmann zog es 1882 nach Herbede. Bis 1939 diente Haus Witten als Produktionsstätte. 1944 ging es in den Besitz der Stadt Witten über.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
500 Jahre hielt das Herrenhaus den Widrigkeiten der Geschichte stand. Doch der Zweite Weltkrieg änderte alles. Die schweren Luftangriffe am 12. Dezember 1944 sowie am 19. März des Folgejahres verwandelten Haus Witten – beinahe über Nacht – in eine Ruine. Einzig der Turm an der Ruhrstraße blieb erhalten sowie ein Teil des angrenzenden Wohntraktes. Von den übrigen drei Flügeln blieben nur noch die Außenmauern übrig, die nach und nach jedoch teilweise abgetragen werden mussten. Mit der Zeit erwog man, die Reste des Hauses Witten als ›gepflegte Ruine‹ zu erhalten. Zwischen 1975 und 1990 wurden die Mauern der Ruine daher gesichert.
Haus Witten heute
1990 machte man sich schließlich an den Wiederaufbau des ehemaligen Herrensitzes. Angedacht war jedoch keine historische Rekonstruktion aus der Vorkriegszeit. Vielmehr sollte sich der Neubau bewusst in Material und Form von der alten Substanz absetzen – da gerade diese Zeugnis einer langen und wechselvollen Geschichte sei. Die Grundsteinlegung für den Neubau erfolgte am 22. November 1992. Innerhalb von vier Jahren wurde die Anlage – unter Wahrung des ehemaligen Grundrisses und der Mauerreste – mit Stahl-, Beton- und Glaselementen wieder errichtet. Heute beherbergt sie unter anderem die städtische Musikschule, die Wittener Integrationsstelle und das Café ›Amadeus‹. Daneben wurde das ›Innenleben‹ zu schmucken Veranstaltungsräumen – wie etwa dem Kino- oder Konzertsaal – umfunktioniert. Wie der Innenhof locken sie alljährlich zu kulturellen Darbietungen aller Art. Mehr noch: Seit 2001 finden regelmäßig standesamtliche Trauungen im besonderen Ambiente von Haus Witten statt.
Quelle: StadtMagazin, Artikel von S. 6 in Ausgabe 93 (10/2014)
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