Die Suche nach einem besseren Leben, das war vor kaum einem Menschenalter auch auf Amrum aktuell. Und wie wenige andere Regionen in Europa war die Insel (zusammen mit Föhr) ein sehr ausgeprägtes „Auswanderungsland“, verzeichnete aber fast gleichzeitig auch eine hohe Einwanderung.
Vertreibung durch den Staatswechsel
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war Amrum eine Insel großer Ärmlichkeit. Walfang und Seefahrt hatten ihren früheren hohen Erwerbsrang verloren, und die meisten Inselmänner waren „Naturnutzer“ durch Jagd und Fischfang im engeren Inselbereich und Tagelöhner für Gelegenheitsarbeiten. Die Landwirtschaft spielte nur eine untergeordnete Rolle und bot kaum Arbeitsplätze. Am meisten zu verdienen gab es bei Strandungsfällen durch die Bergelöhne für gerettete Schiffsgüter und wieder flottgemachte Schiffe. Während aber im übrigen Europa Auswandererwellen nach Amerika verzeichnet wurden und z.B. Hamburger Reeder ganze Flotten von Auswandererschiffen bauten, darunter der Reeder Sloman den ersten Dampfer, geführt von dem Föhrer Kapitän Paul Nickels Paulsen, wurden auf Amrum zunächst nur wenige Auswanderer bekannt, und zwar Goldsucher mit dem Ziel Australien. Dies änderte sich dann aber nach dem Krieg zwischen Preußen/Österreich und Dänemark im Jahre 1864. Amrum, seit fast 1000 Jahren zu Dänemark gehörig, verlor im neuen Staat einige Privilegien. So wurde der Erlass des dänischen Königs aus dem Jahre 1735 „über die ewige Befreiung von Kriegsdiensten“ gestrichen und plötzlich mussten die Amrumer (und Föhrer), die Flinten bisher nur zur Kaninchen- und Seehundsjagd geführt hatten, der strengen preußischen Militärpflicht Genüge tun.
Ebenso schlimm: Die lokalen Seefahrerschulen wurden geschlossen und die Seefahrer mussten fortan teuer und zeitraubend staatliche Seemannsschulen besuchen. Der Staatswechsel von Dänemark zu Preußen/Deutschland war für Amrum und Föhr eine Katastrophe. Die Jugend, die Zukunft, verließ die Heimatinseln, und es war zugleich der Anfang vom Ende des Friesentums.
Ab 1865 vergeht kein Jahr, kaum ein Monat, ohne Meldungen von Auswanderern – von Einzelpersonen, Frauen, die mit „Kind und Kegel“ ihren Männern folgen und ganzen Familien. Erst in den 1880/90er Jahren, als im Deutschen Reich – insbesondere nach dem Krieg und dem Sieg über Frankreich (1870) eine Wohlstandszeit ausbrach, verminderte sich die Anzahl der Auswanderer. Aber da hatten schon an die 50% der Insulaner ihre Heimat – die meisten auf Nimmerwiedersehen – verlassen. Im Gefolge der beiden Weltkriege (1914 -1918 und 1939- 1945), als die wirtschaftliche Not im Deutschen Reich wieder groß war, gab es erneut Auswanderungswellen: von Amrum und Föhr nach Amerika, im letzteren Fall aber oft mit dem Ziel, in Amerika genügend Dollar zu verdienen, um in der Heimat eine Existenz aufzubauen, sei es einen Handwerksbetrieb oder eine Ferien-Pension. So standen der letzten Auswanderung zahlreiche Rückwanderer gegenüber. Von den nach 1945 ausgewanderten Amrumern sind 82 in Amerika geblieben, 47 sind zurückgekehrt.